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Stichwort Busse am Limit

 

Stichwort Busse am LimitHistorisches, Datengrundlage, Verkehrszellen, Nutzungsverhalten, Heilmittel Citybahn, Zeittakt

ESWE Verkehr behauptet, das Bussystem in Wiesbaden sei am Limit angekommen. Es seien zuletzt im Jahr 2017 rund 55,6 Mio. Fahrgäste befördert worden. Wiesbaden wachse aber weiter und die Busse könnten angeblich nicht in noch kürzeren Fahrplan-Takten verkehren. Die Citybahn sei alternativlos und könne im Vergleich zu Bussen mehr Fahrgäste befördern. All dies ist zu bezweifeln.

Historisches

Laut den Informationen bei Wikipedia zu ESWE Verkehrsgesellschaft stellte Wiesbaden im Jahre 1929 als erste Großstadt der Welt eine Straßenbahnlinie auf Omnibusse um.  Zu diesem Zeitpunkt gab es parallel noch ein Straßenbahnnetz der Süddeutschen Eisenbahn-Gesellschaft (SEG), welches nach und nach von der Stadt Wiesbaden bis 1943 übernommen und dabei stetig verkleinert wurde. Wie es bei Klaus Kopp, 125 Jahre Wiesbadener Verkehrsbetriebe 1875 – 2000, herausgegeben von der ESWE-Verkehrsgesellschaft mbH Wiesbaden 2000, heißt, wurden im Sommer 1939 durch die städtischen Verkehrsbetriebe 12 Buslinien und nur noch 1 Straßenbahnlinie (Dotzheim – Bierstadt) betrieben. Da für Benzin und Diesel bereits ab Kriegsbeginn 1939 Anweisungen zu Rationierung ergingen, wurde die Busflotte größtenteils auf Gasbetrieb umgestellt. Der Betrieb der letzten Straßenbahnen und der städtischen Busse musste dann 1945 noch vor dem Einmarsch der Amerikaner und vor dem Kriegende wegen großer Schäden komplett eingestellt werden.

Nach Kriegsende gelang es als erstes, einige Gleise so wieder zu reparieren, dass die verbliebenen eher betagten Straßenbahnen, u.a. auch nach Mainz, wieder fahren konnten. Bei der Wiederherstellung einer Gasversorgung und der Wiederinbetriebnahme der gasbetriebenen Busse  waren die Schwierigkeiten größer, zumal der größte Teil der Busse requiriert, zerstört oder an andere Orte geschafft worden war und es am Geld für neue Busse fehlte. Je mehr Fortschritte es beim Wiederaufbau des Busnetzes ab 1946 gab, umso mehr wurden die verbliebenen und als überaltert empfundenen Straßenbahnen, die nach dem Krieg eher als Provisorium angesehen worden waren, von den Bussen wieder verdrängt. Die letzte verbliebene Straßenbahnlinie wurde im Jahr 1955 komplett eingestellt.

Bereits 1954 wurden die ersten Gelenkomnibusse in Wiesbaden dem Verkehr übergeben. Vorübergehend gab es noch die  O-Buslinien A und B, die aber 1961 endgültig eingestellt wurden. 1968 erfolgte sodann die Einführung der ersten Busspuren Deutschlands in Wiesbaden. Weil auch andere Städte diese Busspuren als äußerst vorteilhaft ansahen, führte dies 1971 zur Novellierung der StVO und der Einführung des neuen Verkehrszeichens 245 für „Bussonderfahrstreifen“. Ab 1970 stiegen die jährlichen Fahrgastzahlen von 39,9 Mio. innerhalb von 4 Jahren um 10 Mio. auf 49,6 Mio. bis Ende 1973. Im Jahr 1979 beförderte ESWE Verkehr nach eigenen Angaben mit seiner Busflotte knapp über 57 (!) Mio. Fahrgäste. Nach Umstellung der Schätzmethode errechnete ESWE Verkehr für 1991 eine stolze Zahl von 55 Mio. Fahrgästen und 1992 von 56,1 Mio. Fahrgästen.

[Quelle für das Vorstehende : Klaus Kopp , 125 Jahre Wiesbadener Verkehrsbetriebe 1875 – 2000, herausgegeben von der ESWE-Verkehrsgesellschaft mbH Wiesbaden 2000].

Historisch gesehen ist Wiesbaden damit ein Vorreiter für den lokalen Busverkehr. Von dieser Tradition möchten die Befürworter der Citybahn, welche den Busverkehr zumindest teilweise ersetzen möchten, scheinbar nichts mehr wissen. Für Megabusse mit 24 m Länge und Kapazitäten von bis zu 200 Fahrgästen soll das Busnetz wegen zu kurzer Haltestellen (!) angeblich ungeeignet sein. Dafür möchte man lieber Haltestellen für eine Citybahn von ca. 80 m Länge bauen.

Datengrundlagen

Zunächst zum Vergleich: Der Flughafen Frankfurt hat im Jahr 2011 ein jährliches Aufkommen von 56 Mio. Passagieren gehabt, im Jahr 2016 sollen es knapp 61 Mio. Passagiere gewesen sein. ESWE Verkehr gibt für das Jahr 2016 eine Gesamtzahl von 55,3 und für 2017 eine Gesamtzahl von 55,6 Mio. Fahrgästen an.

Die Entwicklung der Fahrgastzahlen bei ESWE Verkehr verlief laut Ziff. 2.1 der Bestandsanalyse zum Verkehrsentwicklungsplan Wiesbaden 2030 und der Abbildung 2-6 aber keineswegs immer gleichmäßig nur nach oben. Ab 2003 schrumpfte sie (warum?) und erreichte erst 9 Jahre später in 2012 wieder die Marke von 50 Mio. Fahrgästen jährlich. Zwar hat ESWE Verkehr eigenen Angaben zufolge in 2017 nun 55,6 Mio. Fahrgäste befördert und damit rund 0,5 % mehr als in 2016. Dass die Busse am Limit seien, lässt sich aus dieser Entwicklung aber für sich genommen gerade nicht ableiten.

Gegen die Behauptung, die Busse in Wiesbaden seien am Limit sprechen andere Zahlen: So heißt es bei Klaus Kopp [siehe oben bei „Historisches“], nach der durch die Eingemeindungen in 1977 erfolgten Expansion des Busverkehrs in die östlichen Vororte und der 1978 erfolgten Inbetriebnahme der neuen Omnibusbetriebswerkstatt habe ESWE im Jahr 1979 knapp über 57 (!) Mio. Fahrgäste befördert. Zwar hat ESWE Verkehr die Methode zur Schätzung der Fahrgastzahlen Anfang der Achtziger Jahren wohl geändert. Wenn aber 1991 wiederum 55 Mio. und 1992 sogar 56,1 Mio. Fahrgäste genannt wurden und diese Fahrgastzahlen mit weniger Bussen und einem kürzeren Streckennetz erreicht wurden, wieso sind die Busse jetzt bei unter 56 Mio. Fahrgästen jährlich am Limit? Das klingt nicht schlüssig.

Die Zahlen für die jährlich angegebenen Fahrgäste kommen überdies nicht etwa durch eine Zählung zustande. Und es sind in Wahrheit auch nicht Fahrgäste, sondern Fahrten gemeint. In einem erklärenden Video auf Youtube heißt es dazu, es handele sich um Schätzungen. So gebe es Erfahrungswerte etwa dazu, wie viele Fahrten durchschnittlich mit einer Monatskarte durchgeführt werden. Aber solche Schätzungen können durchaus aktiv beeinflusst werden. So sind jüngst die Preise für ein Tagesticket von ESWE Verkehr von € 6,70 in 2017 auf € 5,35 in 2018 erheblich gesenkt worden, was die Nachfrage an Tagestickets erhöht und im Vergleich den Verkauf von Einzelfahrscheinen reduziert hat. Dies hat aber Folgen für die Schätzung der jährlichen Fahrten, denn im Gegensatz zu einer Einzelfahrkarte schlägt eine Tagesfahrkarte angeblich statistisch mit stolzen 8 Fahrten zu Buche. Es ist also zu erwarten, dass ESWE Verkehr für 2018 wieder eine Steigerung der jährlich beförderten Fahrgäste vermelden wird. Diese Steigerung wird dann aber letztlich auf der bloßen Änderung der Tarifstruktur beruhen.

Und mit welchen Fahrgästen sollen die Busse in Wiesbaden angeblich am Limit sein?Gemäß Ziff. 2.1 der Bestandsanalyse zum Verkehrsentwicklungsplan Wiesbaden 2030 wohnen 45% (57.865 Personen) der Beschäftigten unserer Stadt auch in Wiesbaden und sind Binnenpendler. Die Mehrzahl der Beschäftigten, also 55% – rund 71.447 – pendelt dagegen nach Wiesbaden ein. Mit einer Einpendlerquote von 55% weist Wiesbaden unter den Großstädten der Rhein-Main-Region interessanterweise den geringsten Wert auf: Die Einpendlerquoten von Darmstadt, Frankfurt, Mainz und Offenbach liegen bei Werten zwischen 63% und 71%.

Es gibt aber nicht nur Binnenpendler innerhalb Wiesbadens und Einpendler, sondern auch Auspendler. Etwa 39.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte pendelten im Jahr 2012 von Wiesbaden in andere Gemeinden aus.

Von und nach wo sind nun die Pendlerströme insgesamt am größten?

Einpendler Auspendler Summe Quote
Mainz 7.232 7.063 14.295 12,94%
Frankfurt 2.781 10.283 13.064 11,83%
Taunusstein 3.999 824 4.823 4,37%
Rüsselsheim 899 1.695 2.594 2,35%
Eltville 1.955 553 2.508 2,27%
Hofheim 1.183 1.193 2.376 2,15%
sonstige 53.398 17.389 70.787 64,09%
gesamt 71.447 39.000 110.447 100%

Wenn nur 12,94 % der täglichen Berufspendler zwischen Mainz und Wiesbaden unterwegs sind, was 14.295 Personen entspricht, dann können die Busse in Wiesbaden mit durchschnittlich 150.685 Fahrgästen wohl kaum wegen dieser Mainzer Berufspendler am Limit sein. Das Mainzer Einzugsgebiet ist groß und schließt nicht nur die Innenstadt ein, weshalb ohnehin nur ein Bruchteil der täglichen 14.295 Berufspendler zwischen Mainz und Wiesbaden den ÖPNV nutzen dürfte. Überhaupt würde sich die Frage stellen, wie viele der täglichen Berufspendler aus der gesamten Region von 110.447 Personen den ÖPNV oder eben den privaten PKW nutzen.

Ginge es wiederum nach der Ziff. 2.1 der Bestandsanalyse zum Verkehrsentwicklungsplan Wiesbaden 2030, dann werden in unserer Stadt 47,9% aller Wege mit PKW/Motorrad/Roller, 30,7% zu Fuß, 15,7% mit dem ÖPNV (Regio-/S-Bahn und Busse) und 5,7% mit dem Fahrrad zurückgelegt. Würde man dies auf die Berufspendler übertragen, so würden täglich nur 17.340 Personen den ÖPNV benutzen und davon beispielsweise nur 2.244 Personen von und nach Mainz nebst Umgebung. Die Benutzung des ÖPNV für Berufspendler von und nach Mainz meint aber selbstverständlich nicht etwa nur den Busverkehr, sondern genauso die bestehende S-Bahn-Verbindung.

Wie es in Ziff. 2.1 der Bestandsanalyse zum Verkehrsentwicklungsplan Wiesbaden 2030 weiter heißt, ist unterwegs zu sein für die Wiesbadener Bevölkerung selbstverständlicher Alltag. 86,3% aller Personen sind an einem beliebigen Stichtag unterwegs und legen dabei im Mittel 3,9 Wege zurück. Die mittlere Wegelänge beträgt dabei 6,9 km und die Wegedauer 20,3 Minuten – dies sind in Bezug auf Wegelänge und –dauer vergleichsweise kurze Wege. Insgesamt verbringen die mobilen Wiesbadener damit täglich über eine Stunde (genau: 67,3 Minuten) im Verkehr und legen dabei eine Strecke von 22,8 km zurück.

Eine Überraschung enthält die Bestandsanalyse bei den Zwecken, zu denen die Wiesbadener Bevölkerung unterwegs ist. Dort dominiert nämlich mit 34,4 % ganz klar die Freizeit: private Besuche, Sport und andere Freizeitaktivitäten sind der wichtigste Anlass zum Unterwegssein. Mit 29,9 % sind Einkauf und Dienstleistung der zweitwichtigste Wegezweck. Es folgen mit deutlichem Abstand Wege zur Arbeit (15,9%) und zu Kitas und Schulen (13%). Folglich spielen in Bezug auf das gesamte Verkehrsaufkommen in Wiesbaden Freizeit sowie Einkauf und Dienstleistung mit rund 2/3 der Mobilität die größte Rolle, der Weg zur Arbeit sowie zur Kita und Schule dagegen die geringste Rolle.

Falls die Busse in Wiesbaden tatsächlich am Limit sein sollten, dann hätte dies laut Verkehrsentwicklungsplan nicht so sehr mit Berufspendlern, Schülern oder Kindern, sondern eher mit dem Freizeitverhalten der Wiesbadener zu tun.

Und schließlich: Falls Wiesbaden bis zum Jahr 2030 weiter wächst, wovon tatsächlich auszugehen ist, dann würde dies bei einer geschätzten Einwohnerzahl von 300.000 einer Erhöhung um ca. 3,5 % entsprechen. Wenn sich die Arbeitswelt, das Freizeitverhalten und die Mobilität in Wiesbaden bis 2030 nicht entscheidend ändern sollten, was wiederum unwahrscheinlich ist, dann würden sich alle Daten aus der Bestandsanalyse linear auch nur um ca. 3,5 % erhöhen. Dies bedeutet, dass sich beispielsweise die Zahl der Fahrgäste von und nach Mainz (ohne die Citybahn) auch nur um 3,5 % erhöhen würde.

Verkehrszellen

Um zu überprüfen, ob das Bussystem in Wiesbaden tatsächlich an seiner Kapazitätsgrenze angelangt ist oder bald angelangen wird, genügen keine subjektiven Wahrnehmungen einzelner, es müsste untersucht werden, (a) welche Buslinien und (b) welche Streckenabschnitte dieser Linien besonders stark genutzt werden. Buslinien sind ganz unterschiedlich ausgelastet und eine einzelne Buslinie ist im Regelfall nicht von Endhaltestelle bis Endhaltestelle gleich stark genutzt, d.h. es müssten ganz klar die Fahrgäste pro Streckenabschnitt gezählt und die so genannten Verkehrszellen genauer betrachtet werden. Wie es auf Seite 88 in Ziff. 2.5 der Bestandsanalyse zum Verkehrsentwicklungsplan Wiesbaden 2030 heißt, ist das Stadtgebiet in insgesamt 144 Verkehrszellen auch aufgeteilt.

Laut Ziff. 2.1 der Bestandsanalyse wird die Grundlage für das städtische Bus-Liniennetz von der ursprünglichen Netzkonzeption aus dem Jahre 1969 gebildet, d.h. seit dieser Zeit werden die Buslinien grundsätzlich von außen kommend und sternenförmig  in oder durch die Innenstadt geführt. Die starke Bündelung abschnittsweise parallel fahrender Linien führt auf langen Strecken vor allem in Hauptverkehrszeiten naturgemäß dann zu sehr dichten Wagenfolgen.

Neben den radial geführten Linien gibt es nur ganz wenige Linien mit tangentialem Charakter. Dies sind beispielsweise die Linien 9 (Schierstein – Biebrich – Mainz) und 37 (Wielandstraße – Hauptbahnhof – Bierstadt / Erbenheim).

Die wichtigsten Haltestellen mit dem höchsten Fahrgastaufkommen sollen gemäß der Bestandsanalyse zum Verkehrsentwicklungsplan der Hauptbahnhof und die in der Innenstadt liegenden Haltestellen Dernsches Gelände / Wilhelmstraße, Kirchgasse / Luisenplatz, Schwalbacher Straße / LuisenForum, Platz der Deutschen Einheit, Bismarckring und Loreleiring sein. Der Gesamtbericht der Lokalen Nahverkehrsorganisation vom Mai 2016 bescheinigt auf Seite 9 unter Ziff. 2 dennoch das Funktionieren des Wiesbadener Bussystems bei „Beschreibung der Beförderungsqualität“ und zwar wörtlich:

„Die Beförderungsqualität im Busverkehr erfüllt mindestens die Standards, die im … 2. Nahverkehrsplan … sowie mit Fortschreibung am 16.07.2015 beschlossenen 3. Nahverkehrsplan … ausgewiesen sind.“

Wenn geltend gemacht wird, die Busse seien am Limit, dann geht es nicht um die Gesamtzahl aller beförderten Fahrgäste. Entscheidend wäre vielmehr, zu welchen Tageszeiten, auf welchen Linien und in welchen Verkehrszellen die Busse im ÖPNV besonders stark frequentiert sind. Nur wenn man diese Zahlen kennt, ließe sich die Behauptung, die Busse seien am Limit, verifizieren. Über solche Erfahrungen und Zahlen scheint ESWE Verkehr auch zu verfügen, denn auf zahlreichen Linien werden wegen des hohen Fahrgastaufkommens entweder zu bestimmten Zeiten Zusatzbusse für Verstärkerfahrten eingesetzt und/oder es werden die Zeittakte verkürzt.

Im gemeinsamen Nahverkehrsplan für Wiesbaden und den Rheingau-Taunus-Kreis 2015 finden sich zahlreiche solcher Anpassungen bei den Buslinien. Es finden sich dort auch Zahlen zu den täglichen durchschnittlichen Fahrgastströmen.

Gemeinsamer Nahverkehrsplan WI/RTK 2015 Abb. 10 Fahrgaststtröme

Das Problem ist nur, dass diese Fahrgastströme natürlich nichts darüber aussagen, ob die Fahrgäste bestimmte Buslinien deshalb so stark nutzen, weil sie dies wollen oder weil sie dies müssen. Wie gesagt werden fast alle Buslinien sternenförmig in und durch die beengte Innenstadt geführt. Wenn ein Fahrgast aber gar nicht in die Innenstadt (zur Arbeit oder für Besorgungen) möchte, dann zwingt ihn das vorhandene fast 50 Jahre alte Liniennetz in den allermeisten Fällen dazu, diesen „Umweg“ trotzdem zu nehmen.

Nach unserer Beobachtungen und den Auskünften der Busfahrer sind praktisch nur die Linien 4, 14 und 6 sind oft stark beansprucht bzw. an der Belastungsgrenze. Ansonsten ist die Lage bei den anderen Buslinien im Stadtgebiet einigermaßen entspannt. Dass es zu den Stoßzeiten in den Bussen auf vielen Linien sehr voll ist, muss ohnehin hingenommen werden. Der Kapazitätsbedarf kann sich nämlich nie ausschließlich an den Stoßzeiten orientieren, er muss vielmehr den durchschnittlichen Nutzungsgrad und eben auch die Randzeiten berücksichtigen.

Zusammenfassung:

Die Aussage, in Wiesbaden seien die Busse am Limit, ist so nicht nachprüfbar und auch nicht schlüssig. Es müsste außerdem dargelegt werden, weshalb das fast 50 Jahre alte sternenförmige Liniennetz ein Tabu darstellen soll und weshalb nicht neue Tangentialverbindungen zu einer Entlastung der stark beengten Innenstadt beitragen könnten.  Wer aus dem schnell wachsenden Wiesbadener Osten als Auspendler nach Mainz, Frankfurt, Taunusstein, Rüsselsheim oder in den Rheingau möchte, der muss nicht zwingend durch die Innenstadt geschleust werden. Und wer dies trotzdem möchte, der muss eben notfalls einen Zeit- und Komfortverlust in Kauf nehmen.

Nutzungsverhalten

Es gibt Stimmen, die behaupten, eine Ausweitung des Busverkehrs durch z.B. Zusatzbusse der gleichen Linie, die unmittelbar hintereinander fahren, scheitere allen ernstes schon daran, dass die Fahrgäste immer nur in den ersten Bus einsteigen bzw. sich dort hineinzwängen würden, so dass der Zusatzbus fast leer bleibe. Wenn nur der Nutzer nicht mitspielt, wie er eigentlich soll, ist dann ein Verkehrssystem tatsächlich am Limit?

Das beschriebene Phänomen gibt es in der Tat, es ist allerdings keineswegs typisch für den Busverkehr mit Zusatzbussen, sondern bei allen Verkehrsmitteln zu den Stoßzeiten zu beobachten. Regelmäßig steigen eben auch bei Zügen, Straßenbahnen und U-Bahnen die Fahrgäste am liebsten in den vorderen Teil bzw. den ersten Wagen oder den ersten Zug ein. Wieso dieses teils durchaus unvernünftige Verhalten von Fahrgästen aber als Beleg dafür dienen soll, dass in Wiesbaden die Busse auch mit Zusatzbussen am Limit seien, ist nicht nachvollziehbar.

Davon abgesehen gewöhnen sich die Fahrgäste auch in anderen Städten irgendwann einmal daran, dass sie in Stoßzeiten besser in der Mitte oder ganz hinten in einem Langzug einer U-Bahn einsteigen bzw. auf den nur wenige Minuten später einfahrende Zusatzzug der gleichen Linie warten. Wenn dies immer noch nicht richtig funktioniert, dann können notfalls in den Hauptverkehrszeiten so genannte Einstiegslotsen zum Einsatz kommen. Dies wurde gerade in Frankfurt für S- und U-Bahn erfolgreich als Kooperation zwischen DB und RMV getestet. Die zusätzlichen Personalkosten für die Einstiegslotsen wären im Vergleich zu den Investitionskosten einer Citybahn zu vernachlässigen.

Heilmittel Citybahn

Die Behauptung, die Citybahn stelle das einzige Heilmittel gegen das angeblich am Limit befindliche Bussystem dar, ist aus weiteren Gründen nicht überzeugend.

Die Citybahn benötigt Platz zum Fahren und zwar für ein doppelgleisiges Schienensystem im eigenen Gleiskörper von etwa 6,30 m Breite. Geplant ist nämlich ein so genanntes Lichtraumprofil von 2,65 m für jede Richtung. Wo räumlich gesehen aber Platz für den Bau eines solchen Schienensystems ist, da ist natürlich auch Platz für eine doppelte Busspur. Der Unterschied wäre nur, dass ein Bus eben auch ohne Gleise und Oberleitung auskommt und dass 1 Kilometer Gleis innerstädtisch mindestens 12 Mio. € Baukosten für ein Schotterbett und mindestens 14,4 Mio. € für ein Grasbett verschlingt.

Der Vorteil der Citybahn soll demnach alleine darin liegen, dass sie angeblich mehr Fahrgäste befördern kann, als Busse dies könnten. Die Machbarkeitsstudie vom November 2016 geht bei der Citybahn von einer Doppeltraktion (Doppelzug) mit 60 m Länge aus und ESWE Verkehr behauptet, darin fänden 480 Fahrgäste Platz. Dies würde bedeuten, dass in einem Einzelzug 240 Personen befördert werden könnten. All das ist zu bezweifeln.

Auf der Website von ESWE Verkehr findet sich unter dem Menüpunkt Unternehmen – Zahlen und Fakten – eine Übersicht der eingesetzten Fahrzeuge. Wiederum unter „Gelenk-Omnibusse“ ist ein Fahrzeug MAN Lion’s City G (3 Türen) Baujahr 2017 mit 18,75 m Gesamtlänge aufgeführt. Dieser Gelenkbus soll 53 Sitz- und 93 Stehplätze, zusammen also 146 Plätze aufweisen. Unter „Solo-Omnibusse“ finden sich Fahrzeuge mit der Bezeichnung EvoBus MB O 530 LE C2 der Baujahre 2014 bis 2017 mit 12 m Gesamtlänge, die  über 38 Sitz- und 56 Stehplätze, insgesamt also 94 Plätze verfügen sollen.

Rechnet man die Fahrzeuglängen und die Kapazitäten des MAN Lion’s City G Gelenkbusses und des EvoBus MB O 530 LE C2 zusammen, so ergibt sich bei einer Gesamtlänge von 30,75 m ein Platzangebot für 240 Fahrgäste. Bis dahin würden die Busse nicht schlechter abschneiden als ein Einzelzug der Citybahn.

Überprüft man das Platzangebot von Bussen der Firma Mercedes, dann wird ein Gelenkbus des Typs Citaro G von 18,125 m Länge (4-türig) mit einer Beförderungskapazität von 163 Personen (42 Sitz- und 121 Stehplätze) und ein Solobus des Typs Citaro von 12 m Länge mit einer Beförderungskapazität von 105 Personen (31 Sitz- und 74 Stehplätze) beworben. Beide Busse zusammen kämen auf eine Gesamtlänge von 30,125 m und könnten zusammen sogar 268 Personen befördern.

Wie sieht es nun mit einem Kapazitäts-Vergleich zwischen diesen Bussen und einer Stadtbahn wirklich aus?

Bei Wikipedia heißt es unter „Straßenbahn Mainz“, bei den dort zuletzt bestellten Fahrzeugen handele es sich um Niederflurbahnen „Variobahn“ der Firma Stadler Rail, welche bei einer Länge von 30 Metern Platz für 174 Fahrgäste (66 Sitzplätze) bieten würden. Man kann diese Angaben noch direkt beim Hersteller Stadler Rail überprüfen. Dort findet sich unter den Referenzen u.a. die Mainzer Verkehrsgesellschaft und ein Datenblatt für die dortige Variobahn, in welchem die Fahrzeuglänge mit 30,068 m und die Zahl der Plätze mit maximal 73 Sitz- und 112 Stehplätzen angegeben wird, was in der Summe Platz für 185 Fahrgäste ergibt.

Man kann dann noch weiter nach Niederflurbahnen anderer Städte oder Hersteller recherchieren, eine Stadtbahn mit Meterspur für den 2-Richtungsbetrieb, in welcher bei einer Fahrzeuglänge von 30 m für 240 Fahrgäste Platz sein soll und den Vorgaben aus der Projektbeschreibung entspricht, haben wir nicht gefunden. Auch der Geschäftsführer von ESWE Verkehr Herr Zemlin hat bis zum heutigen Tage keinen Hersteller und Fahrzeugtyp für eine Niederflurbahn im 2-Richtungsbetrieb und 30 m Länge mit einer solchen Kapazität genannt, sondern Ende Dezember 2017 lediglich Vergleichsfahrzeuge der Fa. Bombardier bezeichnet, welche entweder mit 36 m zu lang wären, nur für den 1-Richtungsbetrieb konstruiert oder nur auf Normalspur erhältlich sind. Es scheint so, dass niemand eine der Machbarkeitsstudie 2016 entsprechende Niederflurbahn mit Platz für 240 Personen bezeichnen kann und dass die Citybahn demzufolge vom maximalen Platzangebot schlechter abschneidet, als 1 Gelenkbus und 1 Solobus und dies bei praktisch gleicher Länge.

Sachgerecht zu prüfen wären zudem die Einsatzmöglichkeiten der so genannten Megabusse mit 21 oder sogar 24 m Länge, welche bis zu 200 Personen befördern können (siehe auch Bustypen bei Alternativen zur Citybahn). Solche Doppelgelenkbusse der Firma Van Hool des Typs AGG 300 von 24 m Länge sind laut Wikipedia in Hamburg auf der in Europa am meisten frequentierten Buslinie, der Metrobus-Linie 5, im Einsatz und haben zwischen 45 und 65 Sitzplätzen sowie ca. 150 Stehplätze.  Die Firma van Hool bietet mittlerweile mit dem Modell Exqui.City auch einen E-Bus sowie einen Brennstoffzellen-Bus von 24 m Länge und vergleichbarer Fahrgastkapazität an, der u.a. in Malmö und in Metz schon eingesetzt ist und demnächst in Belfast sowie möglicherweise in Hamburg beschafft wird. Das Modell Exqui.City ist zwar ein Bus, aber er bietet laut Hersteller den gleichen Komfort wie eine Stadtbahn, was auch aus zahlreichen Videos auf Youtube recht gut nachempfunden werden kann.

Exqui.City 24 der Firma van Hool im Einsatz in Metz (Frankreich)

Solche Megabusse oder Trambusse könnten selbstverständlich von ihren Abmessungen und ihrem Abbiegeradius nicht auf allen Wiesbadener Straßen durchkommen und alle vorhandenen Haltestellen bedienen. Sie könnten aber natürlich dort verkehren, wo eine Citybahn als Einzelzug oder gar als Doppelzug verkehren soll.

Und überhaupt: Zwar kann natürlich eine Citybahn mehr Personen befördern als ein Gelenk- oder Doppelgelenk-Bus, dies ist aber kein Wunder, denn eine Citybahn ist nun einmal das längere Fahrzeug. Werden für die Citybahn 60 m oder gar seit neuestem sogar 70 m lange Bahnsteige geplant, so kann man ebenso bei den Bushaltestellen verfahren und diese können auch von mehreren Bussen im Konvoi gleichzeitig bedient werden. Der Unterschied wäre nur, dass Busse eben keine Gleise und Oberleitungen benötigen.

In der überschlägigen NKU der Machbarkeitsstudie vom November 2016 war davon die Rede, die Citybahn werde voraussichtlich 82.000 Fahrgäste täglich befördern. Doch wo kommen diese Fahrgäste eigentlich her? Diese Frage beantwortet die überschlägige NKU wie folgt:

Fahrgäste Citybahn täglich (ohne Binnenverkehr Mainz) 82.000
davon verlagert von PKWs 22.000
davon verlagert von S-Bahn 3.700
davon verlagert vom Busverkehr 56.300

Die einzigen Fahrgäste, welche die Citybahn wirklich dazu gewinnen soll, sind also 22.000 Personen, die angeblich ihren PKW künftig stehen lassen. Dies ist aber eine bloße Hoffnung und keine gesicherte Erkenntnis.

Die anderen Fahrgäste sollen angeblich von der S-Bahn und den Bussen lediglich auf die Citybahn verlagert werden. Wenn aber täglich 3.700 Fahrgäste weniger die S-Bahn zwischen Wiesbaden und Mainz nutzen, dann wird man darauf reagieren und ggfs. die Zuggrößen und/oder die Zeittakte der S-Bahn reduzieren müssen.

Und wenn angeblich 56.300 Fahrgäste nicht mehr die Busse nutzen würden, dann bedeutet dies, dass die Citybahn bestimmte Buslinien ersetzen müsste. ESWE Verkehr hat sich noch nicht konkret dazu geäußert, welche Buslinien ganz konkret stillgelegt oder ausgedünnt werden sollen (Linie 6?). Wenn aber einige Buslinien der Citybahn (wo genau?) weichen müssten, dann stellt sich die berechtigte Frage, auf welchen Strecken die Citybahn den Busverkehr eigentlich überhaupt entlasten könnte und ob der Busverkehr eben genau auf diesen Strecken am Limit sein soll. Eine Entlastung durch eine größere Kapazität der Fahrzeuge ist jedenfalls rechnerisch, wie oben dargelegt, nicht plausibel. Und auch die Zahl der täglichen Berufspendler zwischen Wiesbaden und Mainz von 14.295, von denen mutmaßlich bislang nur 2.244 den ÖPNV nutzen (siehe oben Datengrundlagen) , lässt objektive Zweifel an der angenommenen bloßen Umverlagerung von Bus auf Citybahn aufkommen.

Die Annahmen aus der Machbarkeitsstudie 2016 sind durch die neue NKU vom 12.12.2017 auch schon teilweise hinfällig. Da es jetzt um eine Fahrstrecke der Citybahn über Biebrich geht, gehen die Prognosen nach der „Standardisierten Bewertung“ dahin, dass täglich sogar bis zu 100.000 Personen dieses Verkehrsmittel auf seiner Gesamtstrecke zwischen Bad Schwalbach, Wiesbaden und Mainz HBF nutzen werden. Allerdings sollen nicht mehr 22.000 PKW-Fahrten täglich auf die Schiene umverlagert werden, sondern nur noch 17.000. Wieviel der 100.000 Personen vom Bus und von der S-Bahn auf die Citybahn umsteigen, wird in der Zusammenfassung der NKU vom 12.12.2017 nicht genannt.

Vorschlagslinie 12.12.2017 mit angenommenen Fahrgastaufkommen

An dieser Grafik aus der NKU ist interessant, dass täglich nur 15.600 Personen von Kastel nach Mainz und umgekehrt mit der Citybahn fahren, während dies im Innenstadtbereich zwischen 38.800 und 40.200 sein sollen. Diese Verteilung hat aber vermutlich nicht so sehr mit der Citybahn, sondern weitaus eher mit dem sternenförmigen Liniennetz zu tun, in welches die Citybahn integriert werden soll. Wenn die Citybahn anstelle von Bussen durch die Innenstadt fahren soll, dann liegt es bei der gegenwärtig bestehenden Netzstruktur auf der Hand, dass die Citybahn dort die meisten Fahrgäste bekommen wird. Die Umverlagerung von Bus auf Citybahn entspricht aber nicht zwingend einer Notwendigkeit oder den Wünschen der Fahrgäste, sie wird vielmehr durch den bloßen Bau der Citybahn und die Ausdünnung der Buslinien quasi erzwungen.

Zeittakt

Wenn es zutreffend wäre, dass die Busse in Wiesbaden (allgemein oder wo genau?) am Limit sind und wenn es weiter richtig wäre, dass dies für die Verbindung nach Mainz und die Buslinie 6 gilt, dann sei die Frage erlaubt, warum auf genau dieser Buslinie ab dem Winterfahrplan 2015/2016 der reguläre Zeittakt außerhalb des Berufsverkehrs von 7,5 Minuten auf 10 Minuten heraufgesetzt wurde. Dagegen ist sogar ein 5 Minutentakt zu den Stoßzeiten offenbar möglich, indem ein Verstärkerfahrzeug (Linie E 6) eingesetzt wird.

Das Argument, der Zeittakt könne an bestimmten Haltstellen nicht noch mehr verkürzt werden, verfängt außerdem natürlich dort, wo die Citybahn fahren soll, bestimmt nicht. So müsste sich die Citybahn am Luisenplatz im Takt mit den dort fahrenden Buslinien abwechseln, d.h. die Situation würde nicht besser, sondern sogar schlechter, es sei denn, es würden dort Buslinien eingestellt oder umgeleitet.

Das Argument greift aber auch an den anderen Haltstellen nicht, wo die Citybahn nicht fährt. Dort wo sie nicht hält und fährt, kann sie keine Busse ersetzen und folglich auch keine – angeblichen – Kapazitätsvorteile ausspielen.

Auf den möglichen Zeittakt für den Busverkehr in der Innenstadt hätte es dagegen Einfluss, wenn die Verkehrszellen in der Innenstadt dadurch entlastet würden, dass einige Buslinien, eventuell auf Wechselrouten jeder zweite Bus, vermehrt tangential an der Innenstadt vorbei geführt werden.

Wenn es in Wiesbaden um die Einführung eines Citybahn-Netzes für Milliardenbeträge und eine zeitliche Bindung an solch ein System für viele Jahrzehnte geht, dann sind die bisherigen Buslinien, deren Strecken sowie deren Zeittakte ganz gewiss kein Tabu. Über die Zukunft des Busverkehrs wird man sich im Hinblick auf autonomes Fahren ohnehin schon sehr bald Gedanken machen müssen.

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