Am 09.03.2019 berichtete der Wiesbadener Kurier über die von ESWE Verkehr im letzten Jahr beförderten Fahrgäste. Im Jahr 2018 seien 59,4 Millionen Wiesbadener Bürger in den 272 Eswe-Bussen befördert worden, was ein siebenprozentiges Plus von über 4,1 Millionen Passagieren darstelle. Für den Geschäftsführer von ESWE Verkehr Jörg Gerhard seien die neuen Fahrgastrekordzahlen keine wirkliche Überraschung, die Gründe seien (1) Flatrate-Tickets, (2) Angebotserweiterungen und (3) ein besserer Verkehrsfluss. Der Verkehrsfluss sei vor dem Hintergrund eines drohenden Dieselfahrverbots in Form zahlreicher Busbeschleunigungsmaßnahmen im zweiten Halbjahr 2018 besonders vehement forciert worden. Dies sei laut Herrn Gerhard dringend notwendig, denn „ansonsten stehen sich die Busse nur selbst im Weg. Deshalb arbeiten wir ja auch an der City-Bahn, um mehr Kapazitäten zu schaffen“. Gleichzeitig räumt Herr Gerhard ein „Im Moment haben wir die Entwicklung, dass wir für den Autoverkehr stagnierende Bedingungen haben…“.
- Was ist dran an den Fahrgastzahlen?
Zunächst: ESWE Verkehr ermittelt nicht jährlich beförderte Fahrgäste im engeren Sinne, sondern schätzt getätigte Fahrten. Fahrgäste bzw. Fahrten werden auch nicht etwa gezählt, sondern nach einer „statistischen Berechnungsmethode“ anhand der Fahrkartenumsätze geschätzt. Eine Erläuterung des Fachbereichsleiters Rechnungswesen und Vertrieb, Herrn Holger Elze, findet sich als Videoclip auf dem Youtube Kanal von ESWE Verkehr unter https://www.youtube.com/watch?v=pcQlG-ZeqUM. Korrespondierend mit den Erläuterungen aus dem Videoclip gibt es auf der ESWE Verkehr Webseite unter https://www.eswe-verkehr.de/service/haeufig-gestellte-fragen-faq/faq/c/7/32.html eine textliche Erläuterung zur Ermittlung der jährlichen Fahrgastzahlen.
Aus beiden genannten Quellen ergibt sich jedenfalls, dass eine Einzelfahrkarte mit dem Faktor 1, eine Wochenkarte mit 17 Fahrten und eine Monatskarte mit 81 Fahrten berechnet werden. 81 Fahrten für ein Monatsticket scheinen sehr hoch angesetzt, denn dies würde z.B. bedeuten, dass an allen durchschnittlich 22 Werktagen eines Monats 2 Fahrten = 44 Fahrten stattfinden und in der übrigen Zeit bzw. an den Wochenenden nochmals stolze 37 Fahrten.
Leider finden sich aber keine Angaben in den genannten Beiträgen von ESWE Verkehr, mit welchen Faktoren ein Tagesticket, ein Veranstaltungsticket und die Abonnements/Jahrestickets zur Schätzung der jährlichen Fahrgastzahlen berücksichtigt werden. Daher wurde ESWE Verkehr am 20.09.2018 höflich um Bekanntgabe der Umrechnungsfaktoren für Tageskarten, Veranstaltungstickets und die Abonnements/Jahreskarten gebeten. Auf mehrfache Erinnerungen antwortete die Pressesprecherin von ESWE Verkehr am 30.11.2018:
„Nach interner Abstimmung der Geschäftsführung werden interne Detailfakten von ESWE Verkehr zu den Umrechnungsfaktoren einzelner Fahrscheinarten nicht kommuniziert.“
Demnach macht ESWE Verkehr also ein Geheimnis daraus, wie die jährlichen Fahrgastzahlen ermittelt werden. Dann aber ist jedes Vertrauen in eine korrekte Berechnung von vornherein verspielt.
Bedenklicher noch: Für das Tarifjahr 2018 hatte ESWE Verkehr den Preis für ein Tagesticket (Erwachsene) von € 6,70 auf € 5,35 gesenkt, während es beim Einzelfahrschein (Erwachsene) beim Preis von € 2,80 blieb. Wer also eine Hin- und Rückfahrt plante, war in 2018 gut beraten, das deutlich preiswertere Tagesticket zu kaufen und € 0,25 zu sparen. Die Frage ist also berechtigt, welchen statistischen Berechnungsfaktor ESWE Verkehr einem Tagesticket zugrunde legt. Wenn man durch die pure Preisgestaltung den Umsatz bestimmter Fahrscheine erhöht, dann bedeutet dies keineswegs eine echte Zunahme der Fahrgäste. Vielmehr kann die Preisgestaltung offenbar ein Mittel darstellen, die Zahl der getätigten Fahrten statistisch zu beeinflussen. Das wird indirekt dadurch bestätigt, dass Herr Gerhard als Grund für die deutliche Steigerung der Fahrgäste im Jahr 2018 an erster Stelle die Flatrate-Tickets nennt.
Für das Tarifjahr 2019 hat ESWE Verkehr den Preis für das Tagesticket (Erwachsene) nun wieder erhöht und zwar auf € 5,60, was genau dem Preis von 2 Einzelfahrscheinen (Erwachsene) entspricht. Es kann also damit gerechnet werden, dass die Umsätze an Tagestickets in einem bestimmten Umfang wieder zurückgehen und damit auch die statistische Zahl der in 2019 mit Tagestickets getätigten Fahrten.
Die Entwicklung der jährlich getätigten Fahrten verlief bei ESWE Verkehr ohnehin nie einheitlich, es gab immer größere Schwankungen, etwa im Zeitraum 2000 bis 2014, wie sich u.a. der „Bestandsanalyse zum Verkehrsentwicklungsplan VEP Wiesbaden 2030“ entnehmen lässt:
Und es gab schon viele Jahre mit mehr als 50 Mio. Fahrgästen bzw. Fahrten, wobei dies etwa 1991 und 1992 sogar mit kleinerem Streckennetz und weniger Fahrzeugen als heute bewerkstelligt wurde.
2. Was ist dran an der Entlastung durch die Citybahn?
Die Citybahn würde bekanntlich anhand der aktuellen Streckenplanung nur die Buslinien 4, 6 und 14 ergänzen oder ersetzen. Sie würde nur einen Bruchteil des gesamten Streckennetzes von 630 km bedienen. Sie würde dann, wenn die Fahrgastzahlen in den Bussen auch künftig steigen sollten, was in Wahrheit aus vielen Gründen ungewiss ist, keinen einzigen Bus etwa in der Friedrichstraße entlasten. Herr Gerhard verkennt wie die anderen Befürworter der Citybahn, dass sie untauglich wäre, das – angeblich – am Limit befindliche Wiesbadener Bussystem zu retten. Das sieht der amtierende Präsident der IHK genauso: Herr Gastl sprach in einem Interview mit dem Wiesbadener Kurier am 11.01.2019 von einem „Nulleffekt“ der Citybahn, denn sie würde den Busverkehr nicht ersetzen.