(8.10.20) Professionelle Verkehrsplanung – oder auch nicht.
Wie einige wissen, befasse ich mich unter anderem mit dem Thema Autonomes Fahren. Dort habe ich den Begriff „unprotected left turn“ kennengelernt. Übersetzt heißt das „ungeschütztes Linksabbiegen“. Es gibt diesen Begriff im Deutschen offenbar nicht, das meint zumindest Google. Ein unprotected left turn ist ein nicht über eine Ampel geregeltes Linksabbiegen über eine Fahrspur mit Gegenverkehr.
Was unser Verkehrsdezernat am Landeshaus versucht hat einzurichten – mit desaströsen Folgen – ist analog ein ungeschütztes Rechtsabbiegen über eine aktive Geradeaus-Fahrspur hinweg. Herr Kowol, der Verantwortliche in dieser Sache, behauptet im Kurier, dies wäre ein legitimes Element aus dem anerkannten Baukasten der Verkehrsführung, „nach gültigem Straßenverkehrsrecht“ und „nach den Erkenntnissen der heutigen Verkehrsplanung“ geplant.
Ehrlich gesagt habe ich die Regelung, daß Fahrrad-Geradeausverkehr rechts an Rechtsabbiegern vorbei Vorfahrt hat, noch nie wirklich verstanden. Mir kommt es so vor, als wäre hier mehr Prinzipienreiterei im Spiel als gesunder Menschenverstand. Aus meiner Sicht hat diese Prinzipienreiterei über all die Jahre unzählige Opfer gefordert. Hier wäre schon längst eine sinnvolle Neuregelung fällig gewesen, beispielsweise eben ein vorgeschriebenes „geschütztes Rechtsabbiegen“ mit Ampel-Rot für den Geradeausverkehr – am besten mit Kameras, die bei Unfällen objektive Daten liefern können – zumindest an Stellen mit höherer Verkehrsdichte.
Wenn das schon bei den relativ niedrigen Geschwindigkeiten beim „normalen“ Rechtsabbiegen nicht wirklich klappt – wieso kommt jemand auf die Idee, daß so etwas auf einer „heißen“ Fahrspur funktioniert, die nicht nur durch ihre Breite Radler zum schnellen Fahren einlädt, sondern am Landeshaus auch noch abschüssig ist? Soweit ich weiß, ist „best practice“ im Verhältnis Radler zu motorisiertem Verkehr, diese soweit es geht zu trennen – und nicht, Kollisionszonen einzurichten. Abgesehen davon wäre auch ein Bus, der zu einer Vollbremsung gezwungen wird, ein ziemlich übles Ergebnis dieser Art von Verkehrsplanung.
Den Autofahrern den schwarzen Peter zuzuschieben ist unredlich. Mit dieser Art von Argumentation kann man auch, um Baumaterial zu sparen, Brücken ohne Geländer bauen. Nach dem Motto, die Leute sollen gefälligst selber aufpassen, daß sie nicht herunterfallen.
Es heißt ja, es müsse nicht immer böser Wille im Spiel sein, wenn Inkompetenz auch eine mögliche Erklärung ist. Ich kann und will mir nicht vorstellen, daß hier zynisch kalkuliert wurde, um Argumente für weitere staufördernde weitere Einschränkungen – war da nicht mal was mit Emissionsgrenzwerten? – zu erzeugen. Was mich wirklich interessieren würde – gibt es im Verkehrsdezernat so etwas wie Kadavergehorsam, bei dem die Untergebenen nicht hinterfragen, was dieser Chef anordnet? Ich gehe mal davon aus, daß die Mitarbeiter dort allesamt mehr Fachkenntnisse, Erfahrung oder zumindest gesunden Menschenverstand haben als ihr politisch ins Amt gekommener Chef. Oder hat es vielleicht doch hausintern warnende Stimmen gegeben? So oder so – die Öffentlichkeit sollte davon erfahren. Wo sind die Whistleblower, wenn man sie mal braucht? Schade, daß sich Journalisten heutzutage vor allem als Aktivisten verstehen und nicht mehr als investigative Aufklärer im Dienst der Allgemeinheit.
Nachtrag (9.10.): Gerade wird mir bewußt, daß ja vermutlich das Verkehrsdezernat auch für die Planung der Interaktion der Citybahn mit dem übrigen Verkehr zuständig sein wird. Mir läuft es kalt den Rücken herunter…ein weiterer Grund, NEIN zur Citybahn zu sagen.