Bürgerentscheid CityBahn Wiesbaden – Website der Bürgerinitiative Mitbestimmung Citybahn

9.10.20: Offener Brief zum Inserat von Frau und Herr Doehring im Wiesbadener Kurier vom 6.10.20

9.10.20: Offener Brief zum Inserat von Frau und Herr Doehring im Wiesbadener Kurier vom 6.10.20

(9.10.20) Offener Brief zum Inserat von Frau und Herr Doehring im Wiesbadener Kurier vom 6.10.20

Offener Brief von Dipl. Ing. Klaus Duda an Joachim und Dorothea Doehring

Ihre Anzeige im Wiesbadener Kurier vom 06.10.2020, Seite 6 „Citybahn – JA bitte“

Sehr geehrte Frau Doehring, sehr geehrter Herr Doehring,

Sie appellieren in Ihrer Anzeige, den Experten zu glauben.

Ich bin ausgebildeter Bauingenieur mit Diplom-Abschluss und seit 1990 mit Planung und Bau von Eisenbahnen befasst. Daher erlaube ich mir, die von Ihnen in Ihrer Anzeige genannten Themen und Punkte aufzugreifen.

Zunächst zur Begriffsbestimmung:

Eine City-Bahn ist keine Straßenbahn. Eine Straßenbahn teilt sich ihren Fahrweg, die Straße, weitgehend mit den anderen Verkehrsteilnehmern wie Bussen, Lieferwagen, PKWs und so weiter. Wie diese anderen Verkehrsteilnehmer auch, muss eine Straßenbahn „auf Sicht“ fahren und innerhalb der überschaubaren Strecke zum Stehen kommen können. Die Straßenbahn hat an vielen Stellen Vorrang, aber trotzdem passieren Unfälle. Meist sind andere schuld, aber Straßenbahnunfälle haben weit häufiger schwerwiegende bis tödliche Folgen als Unfälle mit PKWs oder Bussen. Auch die volkswirtschaftlichen Folgen sind deutlich höher. (siehe dazu Auswertung von über 4100 Straßenbahnunfällen 2009 bis 2011 der Bauhaus-Universität Weimar. Artikel in Fachzeitschrift „Straßenverkehrstechnik“ Ausgabe 5.2018, Seite 327 ff).

Eisenbahnen dagegen fahren auf einem technisch gesicherten eigenen exklusiven Fahrweg. Sie brauchen nicht innerhalb der Sichtweite anhalten zu können, da sich niemand anderer auf ihrem Gleis aufhalten darf. Sie können daher schneller, also mit der maximal zulässigen oder möglichen Geschwindigkeit, fahren. Wo der vorübergehende Aufenthalt Dritter auf den Gleisen zulässig ist, an schienengleichen Bahnübergängen, müssen diese durch Schranken, Blinklichter oder andere besondere Maßnahmen gesichert werden, bevor der Zug passieren darf.

Wir wissen alle, dass trotzdem immer wieder Dritte leichtsinnig, fahrlässig oder auch mutwillig den Gleisbereich betreten bzw. befahren und es zu Unfällen kommt. Besondere Gefahrenbereiche sind die schienengleichen Bahnübergänge.

Die City-Bahn ist, um schneller vorwärts zu kommen und förderungsfähig zu sein, eine Mischung aus Straßenbahn und Eisenbahn mit eigenem Fahrweg (mindestens 90% nach ursprünglicher Förderrichtlinie, inzwischen großzügiger gehandhabt). Die City-Bahn hat also eine ganze Reihe von schienengleichen Bahnübergängen und damit Unfallschwerpunkten.

Vergangenen Montag ist in Frankfurt eine 15-jährige bei einem Unfall mit einer oberirdisch fahrenden U-Bahn in Heddernheim schwer verletzt worden (siehe WK 02.10.2020, Seite 6). Eine oberirdisch fahrende U-Bahn ist so etwas Ähnliches wie die City-Bahn.

Überall in Deutschland versucht man schienengleiche Bahnübergänge wegen ihrer Unfallgefahren zu beseitigen. Für die City-Bahn in Wiesbaden soll dagegen eine Vielzahl von schienengleichen Bahnübergängen neu eingerichtet werden, in einer Stadt, die seit langem keine Erfahrung mit Straßenbahnen mehr hat.

Welche Unfallfolgen der Umgang mit neuen Verkehrssituationen hat, zeigte sich gerade aktuell am Landeshaus.

Staus:

Es gibt in Wiesbaden fraglos Staus. Seit vielen Jahren werden immer mehr Verkehrsflächen in Fußgängerzonen, Busspuren und Anwohnerparkplätze umgewandelt oder Einbahnstraßen und Straßensperrungen so eingerichtet, dass alternative Wege zum Ziel torpediert werden. Jetzt werden an vielen Stellen weitere „Umweltspuren“ zu Lasten der allgemeinen Fahrspuren eingerichtet. Der Verkehr konzentriert sich daher immer mehr auf die Hauptstrecken wie die Ringe, die Rhein- und die Schwalbacher Str. Diese werden immer stärker ausgelastet. Wenn es dort dann zu kleinen Störungen kommt, ist ganz schnell ein Stau da.

Im Moment hat man den Eindruck, dass die Staus sogar durch Maßnahmen des Verkehrsdezernats provoziert werden, um Argumente für die City-Bahn zu produzieren.

Busse voll und im Stau:

Nur selten, meist im morgendlichen Schülerverkehr, sind die Busse „brechend voll“. Und meist passiert dies, weil einzelne Busse verspätet fahren und sich dann schon mehr Passagiere gesammelt haben, als vorgesehen. Oft fährt dicht danach der nächste planmäßige Bus fast leer hinterher.

Hier wäre eine bessere Organisation des Busverkehrs und Ersatzbusse gefragt, die schnell eingesetzt werden können, wenn andere ausfallen.

Dass sich die Busse in Friedrich-, Dotzheimer- und Luisenstraße stauen, liegt an dem Konzept, fast alle Busse durch diese Straßen zu leiten, um gute Umsteigemöglichkeiten zu bieten. Wenn man einen Teil der Linien, statt durch diese Straßen, über die Rheinstraße leiten würde, wie für die City-Bahn vorgesehen, würde das Umsteigen zwar aufwendiger (wie zur City-Bahn) aber die Belastung der Straßenzüge Friedrichstr. – Bleichstr. und Dotzheimer-Str.- Luisenstr. würde sich reduzieren und damit auch die Bus-Staus.

Mobilitätsleitbild:

Diese Veranstaltung war keineswegs ergebnisoffen, sondern die Diskussionsleiter waren so ausgesucht, dass das gewünschte Ergebnis herauskam. Der ganze Erarbeitungsprozess war genauso suggestiv wie die Fragestellung beim anstehenden Bürgerentscheid.

Rasengleise als Grundwasserspender:

Unter dem Rasen des Rasengleises muss die Tragstruktur des Gleises untergebracht werden, die die hohen Einzellasten aus den Schienenrädern so verteilen, dass sie schadlos an den gewachsenen Boden darunter übertragen werden können. Dies sind üblicherweise die Schwellen unter den Schienen, darunter eine „hydraulisch gebundene Tragschicht“ (eine Art Beton) und darunter eine „ungebundene Tragschicht“ (eine Sand-Split-Lage). Der natürliche Boden darunter soll möglichst nicht feucht oder gar nass werden, weil er sonst aufweicht, seine Festigkeit verliert und es zu ungleichmäßigen Setzungen kommt. Das Wasser, welches in den Rasen regnet, kommt also nur dem Rasen zugute und versickert nicht zum Grundwasser. Wenn Baumwurzeln in das Pflanzsubstrat des Rasens hineinwachsen, ist das für das Gleis sogar abträglich.

Da die Schienen und Schienenbefestigungsmittel (Kleineisen) durch die permanent feuchte Lage im Pflanzsubstrat schneller rosten, ist die Wartung von Rasengleisen sogar weit aufwendiger als von Schottergleisen.

Der Rasen ist eine schöne und auch schalldämmende und feinstaubbindende Fassade über dem eigentlichen Gleis, aber auch deutlich teurer im Bau und in der Unterhaltung und erfordert laufende zusätzliche Pflege, um wirklich grün zu bleiben.

Alleebäume:

Es müssen nicht ALLE Alleebäume sofort sterben, aber deutlich mehr als KEINE. Das geht eindeutig aus den verfügbaren Planunterlagen hervor. Wieweit die anderen Alleebäume den Eingriff in ihren Wurzelraum überleben, der notwendig ist, um den Platz für die City-Bahn-Trasse in der Mitte zu schaffen und die Rest-Fahrbahnen nach außen zu schieben, inkl. dem Eingraben von neuen Gullys und neuen Ablaufrohren am neuen Straßenrand, ist sehr fraglich.

Fahrzeuge:

Fraglos halten Schienenfahrzeuge länger als Busse, weil sie auch viel schwerer und stabiler gebaut werden müssen, wegen der höheren Kräfte die auf sie wirken. Allerdings sind sie auch weit teurer als Busse. Unmoderne und technisch überholte Busse kann man dann aber auch schmerzlos ausmustern. Die unmodernen und technisch überholten Schienenfahrzeuge muss man aber zähneknirschend behalten, weil sie in der Anschaffung so teuer waren. Dann steht oft eine teure Modernisierung mit Komponentenaustausch an, die doch nicht alle Nachteile gegenüber dann modernen Fahrzeugen ausgleichen kann.

Aartalbahn:

Die Aartalbahn ist eine echte Eisenbahn mit wirklich eigenem Fahrweg fast ohne schienengleiche Bahnübergänge (welche man auch noch beseitigen könnte). Die Sanierung kostet nach einschlägigen Erfahrungen pro Kilometer nur ein Zehntel des Neubaus einer Strecke. Es gibt sogar ein Projekt auf Landes- und Bundesebene, die Aartalbahn von Diez bis Wiesbaden zu reaktivieren. Das City-Bahn-Projekt stört nur diese übergeordnete Reaktivierung.

Die Fahrzeuge auf der Aartalbahn könnten 3,10m (statt nur 2,65m bei der City-Bahn) breit sein und damit viel bequemer und leistungsfähiger. Rollstühle und Kinderwagen würden durch die Gänge passen und nicht nur in extra Bereiche.

Da die Aartalbahn nur 3,3% maximale Steigung hat, statt bis zu 10% bei der City-Bahn, kann sie mit weniger installierter Motorleistung und damit energieeffizienter die Strecke bewältigen.

Die Aartalbahn ließe sich mit dem Bahnhof Wiesbaden Ost und auch der Wallauer Spange verknüpfen und so Fahrzeiten und Fahrziele bieten, die Pendler aus dem Taunus tatsächlich auf die Bahn umsteigen lassen.

Für die Anbindung der Wiesbadener Innenstadt müssten an der Kreuzung mit der Dotzheimer Str., der Schiersteiner Str. und der Biebricher Allee leistungsfähige Umsteigestationen geschaffen werden, so dass die Einpendler nach Wiesbaden, je nach Ziel, in die Busse 17 / 27, 5 / 15 oder 4 / 14 umsteigen und ihr Ziel erreichen können. Auch manche interne Fahrt könnte sich beschleunigen, wenn die Verknüpfung mit dem Eisenbahnnetz nicht nur am Wiesbadener Hauptbahnhof möglich wäre.

Die Schiene ist für die leistungsfähige Erschließung der Region zuständig und der Bus für die Detailerschließung der Fläche, denn dort hat das jeweilige System seine Stärken.

Die Reaktivierung der Aartalbahn ist als Projekt des Schienenpersonennahverkehrs selbstverständlich förderungsfähig, wenn die Nutzen-Kosten-Relation entsprechend ist.

Das City-Bahn-Projekt hat diese Hürde auch noch nicht genommen, denn eine solche Untersuchung gibt es nur für eine längst überholte Konfiguration und das nur auf dem Detailierungsgrad einer Vorplanung. Vieles, was zwischenzeitlich versprochen wurde, war damals noch gar nicht berücksichtigt.

Resümee:

Hören Sie auf den Experten, sagen Sie NEIN zur City-Bahn und stattdessen JA zur Reaktivierung der Aartalbahn.

Mit freundlichen Grüßen

Dipl.-Ing. Klaus Duda