(9.10.20) Zum Thema Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU)
Die Pro-Citybahn-Seite behauptet mit schöner Regelmäßigkeit, daß der Citybahn „volkswirtschaftlicher Nutzen“ attestiert wurde. Eines ist daran wahr: Es gibt in der Tat ein auch so genanntes „standardisiertes Bewertungsverfahren“, auch als Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) bekannt.
Ebenso wird uns mit schöner Regelmäßigkeit erzählt, daß leider, leider, der ganze Berechnungsprozeß so komplex ist, daß es keinen Sinn macht, aktuelle Input- und Output-Zahlen zu veröffentlichen. Auf deutsch – der Untertan ist aufgrund seines begrenzten Horizonts nicht in der Lage, die Weisheit der Obrigkeit nachzuvollziehen. Was das angeht – in der Wiesbadener Bürgergesellschaft mit ihrem breiten Spektrum an Berufen und Spezialisierungen gibt es vermutlich mehr Sachverstand als in der politischen Führungsriege dieser Stadt.
Die NKU wurde 1976 erprobt und, Zitat, „seit 1982 methodisch nahezu unverändert bundesweit angewendet, wobei zwischenzeitlich methodische Verbesserungen im Detail und Aktualisierungen der Preisstände (1985, 1993, und 2000) erfolgten“ [BMVBS 2006, S. 1].
Die Preisstände wurden seitdem regelmäßig angepaßt. Mir fehlt die Zeit, das weiter zu recherchieren – ich will mal hoffen, daß das Modell selbst auch regelmäßig darauf überprüft wird, ob es methodisch noch paßt. Besser wäre es jedenfalls, weil sich auch Wahrnehmung und Erwartungshaltung der Nutzer weiterentwickeln.
Ob die grundlegende Modellierung selbst sinnvoll ist, wäre ein anderes Thema. Ich arbeite seit etwa 15 Jahren im Bereich „Quality of Service/Quality of Experience“ der internationalen Standardisierung und definiere entsprechende Metriken. Von daher habe ich da so meine Zweifel. Meiner Ansicht nach hat es der ÖPNV auch deshalb so schwer, weil viele Protagonisten nicht wirklich verstehen, was die maßgeblichen Faktoren für Akzeptanz und Nutzung sind. Offenbar sind viele ÖPNV-Fans (auch und gerade hier in Wiesbaden) so fixiert auf ein Schwarz-Weiß-Denken, daß sie mental nicht in der Lage sind, dem Individualverkehr auch Nutzen zuzugestehen. Daraus entstehen dann kognitive blinde Flecken, die womöglich noch durch irgendwelche Verschwörungstheorien (gerne: „Gehirnwäsche durch die Autoindustrie“) zugekleistert werden. Für mich ist es kein Wunder, daß mit solchen „Freunden“ der ÖPNV nicht wirklich vorankommt. Solange die maßgeblichen Faktoren – und das ist ganz klar ein Thema aus dem Bereich „Quality of Experience“ nicht wirklich wahrgenommen werden, scheitern auch die auf diesem eingeschränkten Blickfeld basierenden Lösungen.
Aber ich schweife ab -zurück zur NKU.
In dessen Geburtsjahr 1976 wurden Berechnungen wahrscheinlich noch mit Millimeterpapier und Rechenschieber durchgeführt. Auch wenn sich in den Folgejahren dann doch so langsam Computer durchgesetzt haben, war es sicherlich einfach auch bequem, weiterhin zu behaupten, der gemeine Untertan wäre zu ungebildet, um diese hochkomplizierten Dinge zu verstehen.
Mal ehrlich – Modelle wie das, das der NKU zugrunde liegt, konzipiere ich als Fingerübung vor dem Frühstück.
Davon mal abgesehen: Wir haben 2020, und seit einiger Zeit gibt es Konzepte wie „Open Data“ und „Open Source“. Open Source bedeutet, der Programmcode ist öffentlich zugänglich und kann von jedem, der es möchte, analysiert und eben auch genutzt werden. Das ist in anderen Bereichen eigentlich schon lange Standard. Und Open Data bedeutet in diesem Fall, daß die Daten, mit denen solche Programme gefüttert werden, ebenfalls öffentlich zugänglich sind.
Ingenieurbüros, die NKU-Berechnungen ausführen, machen das natürlich auch nicht mehr mit Millimeterpapier und Rechenschieber, sondern verwenden Software dafür. Wenn jetzt jemand kommt und sagt, ja, aber da hat jemand das Copyright – die NKU wurde ursprünglich staatlicherseits beauftragt und mit Steuergeld finanziert. Selbst wenn sich der Staat damals hat über den Tisch ziehen lassen – und sich keine Mitnutzungsrechte gesichert hat, ist das Modell öffentlich. Ich schätze, die Umsetzung in ein Open Source-Projekt, inklusive der Validierung, wäre vom Volumen her nicht mehr als eine Bachelor- oder allerhöchstens eine Masterarbeit. Wie auch immer – Transparenz ist hier schon lange überfällig.
Aber wie gesagt – die völlige Intransparenz der jetzigen Umsetzung hat natürlich Nutznießer, wie im aktuellen Fall der Citybahn. Zum einen kann man irgendwelche NKU-Zahlen in Umlauf bringen, ohne offenzulegen, wie sie überhaupt zustande gekommen sind. Oder immer wieder Zahlen in Umlauf bringen, die auf Basis längst überholter Zwischenplanungsstände erzeugt wurden. Sehr charmant ist auch, daß man die Inputzahlen so lange „massieren“ kann, bis ein gewünschtes Ergebnis herauskommt.
Mit anderen Worten: Die derzeit im Umlauf befindlichen NKU-Zahlen kann man getrost vergessen, solange nicht, mindestens, ihre Inputannahmen klar und transparent offengelegt sind. Und die NKU-Berechnung selbst gehört schon lange als Open Source in die Hände der Bürger.
Auch aus diesem Grund: NEIN zur Citybahn.