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(25.10.20) Der Abschiedsbrief der FAZ

(25.10.20) Der Abschiedsbrief der FAZ

(25.10.20) Der Abschiedsbrief der FAZ (überabeitet und leicht gekürzt 26.10.20)

Am 25.10.20 erschien in der FAZ unter der Überschrift „Zurück in die Zukunft“ ein Artikel von Oliver Bock, der für mich den vorläufigen traurigen Höhepunkt einer Entwicklung markiert, in der klassische Medien von neutralen Beobachtern und Informationslieferanten zu parteiischen Akteuren wurden und sich damit selbst überflüssig machen.

Vielleicht ist dieser Prozeß das Ergebnis des Überlebenskampfes gegen soziale Medien und die „Kostenloskultur“ als solche. Vielleicht zieht der Beruf des Journalisten aber auch Menschen an, die ein Anliegen haben und in den Medien optimale Bedingungen vorfinden, um als Aktivisten und Erzieher wirken zu können. Letztendlich ist es egal – das Ergebnis ist jedenfalls, daß die ehemalige „4. Gewalt“ obsolet wird, weil sie ihre mit diesem Ehrentitel verbundene Rolle und Aufgabe nicht mehr erfüllt.

Herr Schröder von der VRM hat kürzlich die Abokündigungen beim Wiesbadener Kurier, die im Zuge der Citybahn-Debatten wohl stark zugenommen haben, als „Erpressung“ bezeichnet. Ich denke, Herr Schröder hat da einfach etwas nicht verstanden. Wenn ich Information bestelle und Kampagne geliefert bekomme, hat das Produkt seinen Wert für mich verloren. Was würden wir wohl denken, wenn irgendein Hersteller seine Kunden  beschimpft, weil ihnen die Funktion oder  das Preis-Leistungs-Verhältnis seines Produkts nicht gefällt? Ein Pressemedium, das seinen Job nicht macht, ist für die Gesellschaft wertlos geworden. Es muß nicht mehr geschützt werden, und privilegiert erst recht nicht.

Was ich im Bock-Artikel lese, ist eine quasi 1:1-Übernahme der Pro-Standpunkte, ohne einen einzigen Hinweis darauf, daß hier etwas geprüft oder kritisch hinterfragt wurde. Immerhin sind ja einige Vertreter der Pro-Seite so ehrlich, daß sie sagen, ihnen ist im Prinzip egal, welche Nachteile die Citybahn hat, Hauptsache, es geht gegen Autos (bzw. eigentlich gegen deren Besitzer). Oder Hauptsache, es bewegt sich was, egal was. Ich habe den Eindruck bekommen, daß Herr Bock auch zu dieser Fraktion gehört.

Bin ich einfach nur „pissed“, weil die FAZ nicht meine Meinung vertritt? Ein wohlfeiles Gegenargument, das auch so schön bequem ist – nur leider falsch.

Das Problem ist, daß ich diesen Artikel in einem Medium lese, von dem ich Neutralität und umfassende Information erwarte. Was ich bekomme, ist meiner Einschätzung nach versuchte Manipulation durch Weglassen von Informationen, Nicht-Hinterfragen von Fakten und Suggestivformulierungen, etwa die faktisch nicht vorhandene Verbindung der Citybahn mit dem Luftreinhaltekonzept, oder der unkritische Verweis auf das Mobilitätsleitbild.

Eine seriöse Auseinandersetzung mit Kontext und Alternativen fehlt komplett. Daß das Preis-Leistungsverhältnis unterirdisch ist und es kein Zurück gibt, wenn das Experiment scheitert (das Wort Experiment stammt übrigens aus dem Umfeld des „Mobilitätsleitbilds“). Daß eine Aartalbahn auf Normalspur, mit Anbindung an das regionale Nahverkehrsnetz, eine wesentlich sinnvollere Gesamtlösung für das Rhein-Main Gebiet wäre. Von Hintergrundrecherchen ganz zu schweigen – ob die von den Protagonisten behaupteten Verkehrszahlen überhaupt stimmen, wie der ganze Prozeß mit politischen und wirtschaftlichen  Interessen des Monopolisten ESWE Verkehr zusammenhängt und so weiter.

Bei der Citybahn kann ich die Faktenlage ganz gut beurteilen, weil ich mich selbst sehr intensiv mit dem Thema befasse. Ich kann von daher erkennen, wo die Darstellung einseitig ist, weil Informationen weggelassen und manipulative Begriffe und Bilder verwendet werden. Was ist aber, wenn ich mich über ein Thema informieren möchte, bei dem ich selbst keine Fachkenntnis habe? Wenn ich also eine Zeitung nutzen möchte, um mir selbst eine Meinung zu bilden – woher weiß ich, daß die Informationen nicht genauso einseitig und gefärbt sind?

Das fundamentale Problem ist also: Mit Aktionen wie dieser zerstören Medien ihre Existenzgrundlage – das Vertrauen darauf, daß sie ihren Lesern objektive und umfassende Informationen liefern. Ist dieses Vertrauen erst einmal zerstört, sind klassische Medien „nice to have“ – also im Grunde nutzlos. Insofern war dieser Artikel ein Abschiedsbrief.