Tricks or Treats – 1 Jahr nach dem klaren Bürgervotum
Am 1.11.2020 erteilten die Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger der Citybahn eine mehr als deutliche Absage: Ergebnis des Bürgerentscheids: Dagegen 62,1%, dafür 37,9% bei einer Wahlbeteiligung von etwas über 46%. Zur Einordnung: Die Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl von 2021 war 41,8%, die von 2016 lag bei 43,4%.
Ein Treat nicht nur für die BI Mitbestimmung CityBahn, sondern für ganz Wiesbaden.
Die Tricks bei den 3 Anläufen in den vergangen 2 Dekaden, eine CityBahn, Stadtbahn oder Straßenbahn für Wiesbaden zu erzwingen sind vielfältig, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein „neuer“ e.V. (offenbar nur der umbenannte alte Pro-Verein) es nun wieder mit den alten Rezepten (Tricks) der Meinungs-Beeinflussung versucht – offenbar ist Kreativität etwas, das sich leichter von anderen fordern lässt, als es selbst umzusetzen.
Nun ja, die Welt hat sich seitdem schon ein wenig verändert. In den USA fahren schon die ersten kommerziellen Robotaxis, ohne Sicherheitsfahrer. Gleichzeitig laufen bereits die ersten öffentlichen Robotaxi-Versuche in Städten mit ungünstigeren Wetterverhältnissen wie etwa in Seattle. Corona hat die Schwächen von Massentransportmitteln schonungslos offengelegt. Mit zunehmender Digitalisierung und mehr Homeoffice geht auch der Pendelverkehr zurück, während der Mietdruck in den Städten weiter hoch bleibt; der in den letzten Jahren sichtbare Trend zum Wegzug der Menschen aus den Großstädten dürfte sich daher eher noch verstärken. Ohnehin erfordern „hitzeresistente“ Städte und Konzepte wie die „Schwammstadt“ eine niedrigere Einwohnerdichte, mit entsprechend geringerem Bedarf für Massentransport, erst recht in „kleineren“ Großstädten wie Wiesbaden.
Aber wen kümmert schon Realität (und ein wirklich zukunftsorientiertes Mobilitätskonzept), wenn es einen rückwärtsgewandten Traum vom simulierten Landleben in der Stadt gibt, und vor allem einen schon fetischhaften Sündenbock für alles – das Auto. Wobei nur kurz festzuhalten wäre, daß Autos keine eigenständige Lebensform auf diesem Planeten sind, sondern Werkzeuge, die von Autobesitzern eingesetzt werden. Und diese Autobesitzer sind (Mit-)Bürger der Stadt Wiesbaden.
Alte Fragen, alte Antworten, lieber eV. Zur Erinnerung: Die BI Mitbestimmung ist entstanden, weil die für Verkehr, Mobilität und Infrastruktur zuständigen Vertreter der Stadt Wiesbaden versagt haben – anders läßt sich das Ergebnis des Bürgerentscheids nicht interpretieren. Schlimmer noch: diese klaren Mehrheitsverhältnisse wurden nicht einmal annähernd in der Stadtverordnetenversammlung abgebildet. Und die äußerst klare Mehrheit gegen das Projekt „Citybahn“ wurde auch nicht von dieser BI oder sonstwem „erzeugt“ – wir haben nur dazu beigetragen, daß sie klar sichtbar wurde und dieses Projekt nicht einfach über die Köpfe der Bürger hinweg durchgezogen wurde.
Während dieser Debatte wurde einiges an Albernheiten geäußert – etwa die Forderung, die BI solle nebenher einen Job erledigen, für den eigentlich einige Dutzend städtische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Steuergeldern bezahlt werden. Dabei waren wir ja sogar bereit, uns einzubringen – nur nicht in Formaten wie dem sogenannten „Mobilitätsleitbild“, das alles Mögliche war, nur nicht ergebnisoffen.
Kleiner Tipp: Wenn ein Produkt so schlecht ist, dass es selbst mit einem enormen Werbeaufwand nicht verkauft werden kann, liegt das am Produkt und nicht an den Kunden.
Stellen Sie sich vor, Sie betreten einen Laden, weil Sie mal sehen wollen, was es so an neuen Produkten gibt; außerdem hat Sie die Werbung neugierig gemacht. Der Verkäufer zeigt Ihnen das Angebot – aber es ist nichts dabei, das Sie überzeugt – zu teuer, zu viele Nebenwirkungen, zu wenig Hauptfunktion. Das sagen Sie auch höflich, sogar mehrfach, weil der Verkäufer wirklich sehr penetrant ist. Irgendwann fängt er Sie dann an zu beschimpfen; Sie sollten jetzt gefälligst endlich sein Produkt kaufen, oder eines designen, das besser ist.
Mal ehrlich – würden Sie nochmal in so einen Laden gehen? Oder würden Sie denken „Was für ein anmaßender Kasper“ und den Laden zumindest so lange nicht wieder betreten, bis dieser Verkäufer gefeuert und das Sortiment besser ist.
Aber „wir“ (die BI) helfen gerne – wenn wir die gleichen Mittel bekommen wie die Pro-Seite, also einige zehn Millionen Budget für Studien und Analysen, Zugriff auf alle kommunalen Informations- und Aktionsressourcen, und natürlich nicht zu vergessen einige Millionen Euro für „Kommunikation“. Oje – das geht nicht? Dann die höfliche Bitte an die Verantwortlichen, endlich ihren Job richtig zu machen und Konzepte vorzulegen, die tatsächlich sinnvoll sind. Wir schauen sie uns gerne an.
A propos Job richtig machen: Das Salzbachtal-Brückendesaster hätte die Stunde des ÖPNV werden können. Stattdessen hat es gnadenlos all die Defizite dieses Systems aufgedeckt. Nur eine kleine Auswahl: Schienenersatzverkehr, der erst nach mehreren Wochen überhaupt in Mobilitäts-Apps integriert war; bestenfalls schlampig-lieblose, meist aber lückenhafte oder widersprüchliche Wegebeschilderung. SEV-Busausfälle, bei denen die immerhin anwesende Ansprechperson komplett ahnungs- und hilflos war, ob und wann der planmäßige oder überhaupt irgendein Bus kommt, während am selben Bahnsteig mehrere quasi leere Busse zu anderen Destinationen abfuhren.
Der Autoverkehr hat sich dagegen einigermaßen angepasst, trotz einiger Großbaustellen und der Reduktion von Fahrspuren.
Aber immerhin – es gibt jetzt eine neue Schnellbuslinie vom Hauptbahnhof nach Kastel, worauf die ESWE Verkehr wohl auch mächtig stolz ist, zumindest gibt es in den Bussen ständig Werbeansagen dafür. Hieß es nicht mal, das System sei schon am Anschlag?
Allerdings ist das ein mageres Ergebnis, nimmt man all de vor einem Jahr angekündigten Schritte als Maßstab. Wie sieht es mit weiteren Schnellbuslinien oder Tangential-Linien aus? Wie geht das Projekt „Reaktivierung der Aartalbahn“ voran? Dies sind nur ein paar der wichtigsten Fragen. Ein Schelm, der vermuten würde, da bewegt sich nichts, weil die Verantwortlichen immer noch davon träumen, die Citybahn doch noch irgendwie durchzubekommen und solange lieber nichts unternehmen wollen, was endgültig zeigt, daß dieses überteuerte Prestige- und Symbolprojekt wirklich nicht gebraucht wird.
Es ist natürlich nicht besonders „sexy“, das bestehende System zu verbessern und zuverlässiger zu machen – das Salzbachdesaster ist ja nur ein Schlaglichter auf die generelle Misere eines ÖPNV auf dem Stand der Technik von vorgestern. Viel schöner ist es doch (zumindest für Politiker), wenn Hunderte von Millionen an Steuergeldern ausgegeben werden und tolle neue Einrichtungen eingeweiht werden dürfen. Risiken (eine Menge neue Schulden) und Nebenwirkungen (noch engere Verkehrsräume und voraussichtlich noch mehr Staus, von den Belastungen der Bauphase ganz abgesehen)? Egal, das sind ja dann Probleme anderer Leute.