(12.10.20) Das VRM-Meinungsbild zur Citybahn – ein paar kurze Bemerkungen
Im Wiesbadener Kurier findet sich heute ein Bericht zum Ergebnis der VRM-Umfrage. Die Zahlen basieren auf etwa 3500 „Wiesbadener“ Antworten.
Wie zuverlässig oder repräsentativ eine solche Umfrage ist, haben wir ja bereits kommentiert. Von daher will ich auch gar nicht tief in die Zahlen eintauchen, sondern nur auf einen Punkt hinweisen: Laut dieser Umfrage führt der Pro-Grund „Verbesserung des Klimas/der Luftqualität“ (65%), zusammen mit „Attraktivitätssteigerung des ÖPNV“ (62%) die Hitparade an.
Das Argument „Klima/Luftqualität“ ist insofern interessant, als es aus meiner Sicht zeigt, daß, sorry, viele Befürworter offenbar das Thema nicht wirklich ganzheitlich betrachten.
Auf der FAQ-Seite „Citybahn verbindet“ wird angegeben, daß die Citybahn jährlich etwa 4,5 Millionen Kilogramm CO2 einsparen soll.
Wow. Das klingt nach einer Menge. Das erste, das uns hier aber auffällt: Normalerweise werden die CO2-Mengen in Tonnen angegeben. 4500 Tonnen CO2 jährlich – na ja, das klingt nicht mehr ganz so beeindruckend. Aber sehen wir noch etwas genauer hin.
Statista gibt als Pro-Kopf-Emission für Deutschland im Jahr 2019 7,9 Tonnen CO2 an, Tendenz sinkend, übrigens. Der Straßenverkehr hat daran einen Anteil von etwa 20% (https://www.tagesschau.de/faktenfinder/co2-emissionen-103.html). Das wären also pro Kopf etwa 1,6 Tonnen CO2. Die 280.000 Einwohner Wiesbadens würden also statistisch gesehen im Verkehrssektor etwa 448.000 Tonnen CO2 produzieren (und beim Heizen und sonstigem Haushaltsverbrauch zirka nochmal die gleiche Menge, übrigens).
Für das weitere habe ich auf die Schnelle keine Zahlen gefunden. Wir Physiker sind jedoch darin ausgebildet, Werte abzuschätzen. Ich biete daher folgende Abschätzung auf Basis von Zahlen des Umweltbundesamts an: 20% der Gesamtfahrleistung ist Berufs- und Ausbildungsverkehr; 16% Einkaufsfahrten, ca. 40% Urlaubs- und Freizeitverkehr. Ein plausibler Wertekorridor liegt daher aus meiner Sicht bei etwa 20 bis 40% der Gesamtfahrleistung.
Nehmen wir mal nur die Wiesbadener (die Schwalbacher und Taunussteiner müßte man eigentlich noch addieren, und die Pro-Seite behauptet ja auch gerne, die Wiesbadener Einwohnerzahl läge höher). Dann kämen wir auf etwa 90.000 bis 180.000 Tonnen CO2, die in der Stadt und im Nahbereich drumherum mit dem Auto produziert werden. Tendenz, nebenbei bemerkt, durch Elektromobilität in den nächsten Jahren sicher sinkend.
Nun sehen die 4.500 Tonnen CO2 leider nicht mehr ganz so beeindruckend aus – wir sprechen hier von bestenfalls 5%, vielleicht auch nur 2,5%, der Basismenge.
Wobei der eigentliche Knackpunkt hierbei aber ist, daß in der schönen Rechnung für die Citybahn sicher nicht enthalten ist, wieviel zusätzliches CO2 durch negative Effekte der Citybahn – Umwege, zusätzliche Staus, zusätzlicher Parksuchverkehr – entstehen würde. Anhand obiger Rechnung kann man leicht erkennen, daß eine citybahn-verursachte Steigerung von nur wenigen Prozent den Effekt zu Null machen beziehungsweise ihn ins Negative drehen würde. Die zusätzlichen CO2- Emissionen in der Bauphase der Citybahn sind da noch gar nicht berücksichtigt.
Wie gesagt, die Zahlen oben sind eine Abschätzung. Daher noch eine andere Rechnung: 4500 Tonnen CO2 würden mit der aktuell angedachten CO2-Bepreisung von 25 Euro pro Tonne jährlich 112.500 Euro kosten. Setzt man die in ein paar Jahren geplanten 55 Euro pro Tonne an, wären es knapp 250.000 Euro. Was soll die Citybahn nochmal kosten? 600 Millionen Euro plus x? Sorry, Leute – aber das Preis-Leistungs-Verhältnis der Citybahn auf diesem Gebiet ist nun wirklich katastrophal. Da nehmen wir doch lieber die 250.000 Euro und spenden sie für ein Projekt zur CO2-Vermeidung dort, wo es sich wirklich rechnet. Das wäre dann wirklich mal ein Schnäppchen für Wiesbaden.