(13.10.20) Post vom OB fast aller Wiesbadener
Heute hatte ich Post mit Anschreiben des Oberbürgermeisters in meinem Briefkasten. Ich habe es kurz überflogen und erstmal etwas von „zukunftsweisendem Projekt für Wiesbaden“ gelesen. Super, dachte ich – endlich wird es in Wiesbaden ein Testfeld für autonomes Fahren geben, oder vielleicht ein Pilotprojekt für ein Shuttle-on-demand-System wie Moia oder Ioki in Hamburg, das die Vororte besser anbindet. Auch über den Planungsbeginn für eine Umgehungsstrecke, um den Durchgangsverkehr aus dem Taunus aus Wiesbaden herauszubekommen, oder die Ankündigung, jetzt ernsthaft eine Regionalbahnverbindung auf der Aartalbahnstrecke anzugehen, hätte ich mich noch gefreut, auch wenn diese Projekte schon eine ganze Weile auf dem Tisch liegen.
Aber nein – beim genaueren Lesen mußte ich feststellen, daß es mal wieder um die Citybahn ging. Sie erinnern sich, dieses megateure Projekt, bei dem der Verkehrsraum im sowieso schon engen Wiesbaden noch weiter reduziert würde, dessen Bau vermutlich jahrelanges Verkehrschaos mit entsprechender Umweltbelastung verursachen wird – und wenn die Bahn denn mal fährt, vermutlich weitere dauerhafte Staus durch Verkehrsverlagerung. Eine Ausweitung der Parknotstandsgebiete mit noch mehr Parksuchverkehr – wahrscheinlich würde allein das mehr CO2 produzieren als die Citybahn angeblich einspart. Ein Massentransportmittel in einer Zeit, in der Wiesbaden nicht mehr wächst, und in der gerade Corona einen wahrscheinlich dauerhaften Rückgang der Nachfrage nach Massentransport ausgelöst hat. Eine gigantische Alles-oder-nichts-Wette auf dem Rücken der Wiesbadener, starr, unflexibel und nur mit erneutem Riesenaufwand wieder zu korrigieren, wenn denn all die Versprechungen nicht eintreten. Insofern weist dieses Projekt nicht in die Zukunft, sondern bestenfalls (weil dann für längere Zeit wirklich innovative Mobilitätslösungen blockiert wären) in eine Sackgasse, und ich befürchte, mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine Schulden- und Defizitfalle.
Ich weiß nicht, ob ein Oberbürgermeister so offensichtlich Werbung für ein in „seiner“ Bevölkerung umstrittenes Verkehrsprojekt machen darf – selbst wenn ja, ist es für mich, und das ist meine private Meinung, dennoch nicht okay. Ich hatte an anderer Stelle geschrieben, daß Umfragen wie die beiden im Kurier zuletzt veröffentlichten, oder auch frühere, nicht unbedingt sehr robuste Informationen liefern. Wenn ich aber alle bisher bekannten Umfragen nehme, zeigt sich eine klare Tendenz. Ob nun Herr Mende der Oberbürgermeister von 33% der Wiesbadener ist, oder sogar von 45%, sei also dahingestellt. Als OB aller Wiesbadener hat er sich aus meiner Sicht mit dieser Aktion jedenfalls endgültig disqualifiziert.
Was übrigens die Umfragezahlen angeht: Ich stelle fest, daß fast 4 Millionen Werbe-Euro und all die Ressourcen, die seitens der Citybahn-Befürworter aufgeboten wurden, es nicht geschafft haben, eine Mehrheit der Wiesbadener Bürger von diesem Projekt zu überzeugen. Ein gutes Produkt hätte all diesen Werbeaufwand nicht nötig. Wie wohl die Umfragezahlen aussehen würden, wenn die Citybahn-Gegner oder -skeptiker auch nur einen Bruchteil dieser Ressourcen zur Verfügung hätten? Aber egal – ich bin zuversichtlich, daß die hier sichtbare Arroganz der Macht am 1.11. einen ordentlichen Dämpfer bekommen wird.