[Update des Beitrags vom 25.10.2020 mit Kommentaren am Ende]
Die u.a. im Bereich Logistik sowie Umwelt- und Verkehr tätige Firma TransCare aus Wiesbaden hat ihre frühere vergleichende betriebswirtschaftliche Untersuchung von Straßenbahnen und E-Bussen aus dem August 2018, die seinerzeit bei einer gemeinsamen Informationsveranstaltung der IHK Wiesbaden, der IHK Rhein-Hessen und der beiden zugehörigen Handwerkskammern am 06.08.2018 vorgestellt worden war (vgl. den Beitrag vom 10.08.2018 – Die Citybahn ist eine gigantische anachronistische Fehlinvestition), auf Grundlage der ab August 2020 sukzessive bekannt gewordenen neuen Kostenschätzungen für die Citybahn aktualisiert.
Die aktualisierten Vergleichsberechnungen der Firma TransCare Stand 22.10.2020 (hier einsehbar) für Straßenbahnen und E-Busse haben das damals gefundenen Ergebnis wiederum bestätigt:
- Die in Wiesbaden als Citybahn bezeichnete Straßenbahn würde anhand der nunmehr aktualisierten Kostenschätzungen pro Fahrgastplatz und Kilometer 21,7 Cent, ein E-Bus-System dagegen weniger als ein Drittel, nämlich nur 7 Cent kosten.
- Die Gesamtkosten einer Straßenbahn (Citybahn) für einen unterstellten Lebenszyklus von 30 Jahren lägen bei 1,46 Mrd. €, die Gesamtkosten von E-Bussen mit einem Lebenszyklus von 2 x 15 Jahren lägen dagegen nur bei 477 Mio. €, also wiederum bei nur rund einem Drittel.
- Die Mehrkosten der Straßenbahn (Citybahn) gegenüber E-Bussen würden in einem Lebenszyklus von 30 Jahren Jahr jährlich bei rund 33 Mio. € liegen.
Die genannten Vergleichsberechnung zeigt u.a. auch auf, dass die Energiekosten eines Straßenbahnsystems bestehend aus 38 Zügen ungefähr dreimal so hoch wären, wie bei einer E-Bus-Flotte mit gleichen Fahrgastkapazitäten.
Bei der von der Firma TransCare angenommenen fiktiven E-Bus-Flotte bestehend aus 70 Fahrzeugen mit rechnerisch gemittelten Beförderungskapazitäten wurden in die Vergleichsberechnung bei den Anschaffungskosten für die Fahrzeuge offenbar nicht die (sehr hohen) Stückpreise der Firma Mercedes, sondern marktgängige Preise anderer Hersteller berücksichtigt. Neben den reinen Anschaffungskosten für die Fahrzeuge wurden für ein E-Bus-System auf der angedachten Strecke von 34,1 km der Citybahn aber auch Infrastrukturkosten (Bau- und Baunebenkosten) von pauschal 1 Mio. € pro Streckenkilometer, d.h. insgesamt 34,1 Mio. € ausgewiesen, welche die Ladeeinrichtungen, Haltstellen, Fahrbahnertüchtigungen etc. einschließen würden. Ebenso ist für die E-Busse ein höherer Faktor für Instandhaltungsinvestitionen angenommen worden, als bei Straßenbahnen.
Wir halten die Vergleichsberechnung der Firma TransCare daher für schlüssig und zutreffend.
Kommentar vom 27.10.2020
Die Vergleichsberechnung und deren maßgebliche Parameter sind, wen wundert es, von der Bürgerinitiative Pro Citybahn natürlich sogleich in einem Beitrag vom 25.10.2020 als Wiederholungs-Märchen bezeichnet und in beleidigender wie inhaltlich völlig unqualifizierter Weise angegangen worden. Die Bürgerinitiative Pro Citybahn kann nicht einsehen, was aus deren ideologischer Sicht nicht sein darf: Straßenbahnen dürfen einfach nicht, und schon gar nicht um sogar ein mehrfaches, teurer als E-Busse sein! Daher sucht man nach Wegen, wie man einen rein betriebswirtschaftlichen Systemvergleich, der nicht ins eigene verkehrsideologische Weltbild passt, schlecht zu machen und dabei den Verfasser auch noch persönlich zu verunglimpfen. Wie war das noch einmal mit den „destruktiven Strategien“?
Die Vorwürfe der Bürgerinitiative Pro Citybahn beziehen sich konkret auf angebliche Kalkulationsfehler der Firma TransCare und lauten im Einzelnen:
Vorwurf 1 – Fahrzeugkosten Straßenbahn
Die aufgestellte Kalkulation der Firma TransCare unterstelle Straßenbahn-Kosten von 6 Mio Euro pro Fahrzeug und übernehme den bereits korrigierten Fehler des Wiesbadener Kurier. Tatsächlich würden [auch] die 35-Meter-Züge weiter mit drei Millionen Euro kalkuliert. Dieser Betrag sei nicht unrealistisch, da [in 2019] in Dresden 30 neue Züge bei gleicher Breite und einer Länge von 45 Metern für 4,2 Mio. € pro Stück – inklusive 24 Jahre Wartung bestellt worden seien.
Liebe Bürgerinitiative Pro Citybahn: Wie kann man nur so verblendet sein?
Zu dem angeblichen Fehler in der Berichterstattung des Wiesbadener Kuriers haben wir bereits Stellung genommen. [Hier geht’s zum Beitrag]. Wir haben dort auch schon deutlich gemacht, dass die ursprünglich in 2016 geplanten und mit einem Stückpreis von 3 Mio. € unterlegten Straßenbahnzüge deutlich kleiner sind, als die nunmehr seit Frühjahr 2018 favorisierten. Es ist daher nicht schlüssig, zumal ohne jegliche nachprüfbaren Belege und vor dem Hintergrund allgemeiner Preissteigerungen, die gleichen Stückkosten wie in 2016 zu behaupten. Die Befürworter der Citybahn müssen das, was sie behaupten, auch beweisen bzw. zumindest nachprüfbar machen. Der Hinweis auf die in 2019 erfolgte Bestellung von neuen Straßenbahnen von 45 m Länge in Dresden für 4,2 Mio. € pro Stück inkl. Wartung für 24 Jahre (warum wohl nicht 30 Jahre?) ist vollkommen untauglich, da diese Fahrzeuge andere Maße haben, eine andere Spurweite aufweisen und es unklar ist, ob diese Fahrzeuge überhaupt solche für den Zweirichtungsbetrieb sind.
Aufgrund zusätzlicher Recherchen, die eigentlich Aufgabe der Bürgerinitiative Pro Citybahn wären, kann (wohl) gesagt werden, dass Standard-Straßenbahnen für den reinen lokalen bzw. innerstädtischen Betrieb zu Stückkosten zwischen 2 und 3 Mio. € zu haben sind, aber grundsätzlich ohne Wartungsverträge für die gesamte Lebensdauer der Züge. Greift man nicht auf ein existierendes Standard-Modell von z.B. Stadler Rail oder Bombardier (bei der Mainzelbahn handelt es sich um die „Variobahn“ mit 2,30 Breite und 30 m Länge im 1-Richtungs-Betrieb mit Platz für max. 174 Fahrgäste = 66 Sitzplätze und 108 Stehplätze) zurück, sondern wünscht ein maßgeschneidertes größeres Fahrzeug, so werden die Planungs- und Entwicklungskosten auf den Stückpreis aufgeschlagen. Bei Abnahme sehr vieler Züge scheinen jedoch Mengenrabatte oder in jüngster Zeit auch Wartungsversprechen üblich. Selbst bei Standardzügen von der Stange sind aber diejenigen mit 2-Richtungs-Betrieb stets erheblich teurer als diejenigen für den 1-Richtungs-Betrieb.
Für die Citybahn müssen allerdings Fahrzeuge eingeplant werden, die auch interkommunal bzw. im Überland-Verkehr nach Bad Schwalbach eingesetzt werden dürfen (ESBO tauglich?). Für solche Straßenbahnen sollen besondere bauliche Vorgaben bestehen, d.h. diese Fahrzeuge müssen nach unseren Recherchen u.a. einen Kollisionsschutz aufweisen. Solche Überland-Straßenbahnen, zumal mit Möglichkeit zum Richtungswechsel, dürften bei 35 m Länge grob geschätzt zwischen 4 und 5 Mio. € kosten und zwar ohne Wartungsversprechen und Rabatte. Falls eine Wartung bei der Anschaffung inkludiert werden soll, dann würden sich wahrscheinlich die Stückkosten deutlich um evtl. 2 Mio. € erhöhen, so dass die Stückkosten zwischen 6 und 7 Mio. € liegen könnten. Aber vielleicht gäbe es bis zur etwaigen Realisierung der Citybahn (in 2026?) auch günstigere Konditionen bzw. Mengenrabatte. Sicher ist dagegen, dass auch Straßenbahnen in der Zukunft wegen allgemeiner Preissteigerungen teurer werden dürften. [Kleine Erinnerung an dieser Stelle: Die Befürworter der Citybahn müssen sagen und belegen, wie teuer das Projekt wird und nicht die Kritiker!]
Natürlich unerwähnt lässt die Bürgerinitiative Pro Citybahn im Zusammenhang mit den Fahrzeugkosten auch, dass nach verschiedenen Aussagen von Herrn Prof. Zemlin die Züge der Citybahn auf kurzen Teilstrecken ohne Oberleitungsbetrieb auskommen und aus Batterien betrieben werden sollen. Solche technischen Lösungen würden ganz sicher die Fahrzeuge wiederum deutlich teurer machen. Oder ist die Idee von Herrn Prof. Zemlin endgültig vom Tisch? Dann dies bitte ausdrücklich bestätigen lassen!
Wir haben einmal durchgerechnet, was in der Vergleichsberechnung herauskommen würde, wenn man die Stückkosten der 38 Straßenbahnfahrzeuge auf 4,5 Mio. € reduzieren würde. Ergebnis: Der Platzkilometer würde zwar nur noch 19,2 Cent kosten, aber das wäre immer noch fast das Dreifache des Betrages von 7 Cent für die E-Busse.
Vorwurf 2 – Fahrzeugkosten Elektrobus
Die Kalkulation der Firma TransCare lege Fahrzeugkosten von 350.000 EUR pro Bus zugrunde. Der Preis sei dabei als Durchschnittspreis zwischen Gelenk- und Solo-Elektro-Bus zu verstehen. Das Problem sei aber, dass Elektrobusse deutlich teurer seien. Ein Solobus liege bei derzeit ca. 550.000 €, ein Elektro-Gelenkbus zwischen 700.000 und 800.000 €.
Nun, hier blitzt wieder einmal die gezielte Desinformationsstrategie der Bürgerinitiative Pro Citybahn hervor.
Die in der Kalkulation der Firma TransCare bezeichneten Preise für E-Busse sind offenkundig und natürlich nicht diejenigen der Firma Mercedes bzw. Evobus für den eCitaro. Warum wohl nicht?
Die Preise von Mercedes stellen bekanntlich weder bei PKW, noch bei Nutzfahrzeugen den Maßstab dar, d.h. sie bilden in diesen Marktsegmenten gewiss nicht den Durchschnittpreis ab, den man bei betriebswirtschaftlicher Denkweise heranziehen würde. Bei den E-Bussen ist es nicht anders. Die Fahrzeuge von Mercedes bzw. Evobus sind zwar sehr gut, die Produktlinie eCitaro steht aber für besonders hochwertige Fahrzeuge, d.h. sie stellt damit so etwas wie ein Premium-Produkt und somit Luxus dar. Dennoch gibt es bei Mercedes bzw. Evobus bekanntlich aktuell große Produktions- und Lieferschwierigkeiten (wegen der Batterien ?), so dass die durch zahlreiche Subventionen enorme gesteigerte Nachfrage an E-Bussen momentan von diesem Hersteller gar nicht befriedigt werden kann.
Zuzugeben ist jedoch, dass der von der Firma TransCare für die E-Busse in Ansatz gebrachte Stückpreis von 350.000 € für Außenstehende nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist. Eine kurze Nachfrage hat aber für Aufklärung gesorgt.
Die aktuell problemlos erhältlichen E-Busse inklusive ihrer Batterien stammen alle aus chinesischer Produktion, wo solche Fahrzeuge schon zu abertausenden im Einsatz sind. Den chinesischen Markt beherrschen ca. 6 größere Hersteller, so dass scheinbar ein relativ großer Konkurrenzdruck besteht. Ein Solo-E-Bus kostet daher in China aktuell durchschnittlich nur 160.000 €, ein Gelenk-E-Bus dagegen 300.000 €. Bei einem rechnerischen Mix von diesen Bustypen errechnet sich ein fiktiver Durchschnittspreis von 230.000 €. Diese Fahrzeuge müssten aber, wenn sie nach Europa bzw. Deutschland geliefert werden sollten, für den sicheren Transport (u.a. der Batterien) teilweise zerlegt, verschifft, wieder remontiert und technisch überprüft werden. Außerdem müssten sie verzollt werden. Daher ist in der Excel-Berechnung ein Aufschlag vorgenommen und ein rechnerischer Stückpreis von 350.000 € inkl. aller Nebenkosten für Transport und Zoll ausgewiesen worden.
Vorwurf 3 – Infrastrukturkosten Bus
Die Kalkulation lege die „Infrastrukturkosten“ der Busvariante mit 1 Mio EUR pro Kilometer zugrunde. Eine dauerhaft brauchbare Businfrastruktur koste aber deutlich mehr: Die Betonfahrbahn sei teurer als der Asphalt und auch bei einer Betonfahrbahn müsse (zumindest, wenn es richtig gemacht wird) das darunter liegende Leitungsnetz überarbeitet werden. Und so koste die Infrastruktur für Busse – je nach Ansatz und Umsetzung – zwischen 5 und 15 Millionen Euro pro Kilometer. (Auch fehlen in der Kalkulation auf der Busseite Marketing- und Baunebenkosten.)
Diese Aussagen stimmen in mehrfacher Hinsicht nicht.
Der von der Firma TransCare kalkulierte Pauschalbetrag von 1 Mio. € pro Streckenkilometer Baukosten für E-Busse ist nicht zu knapp, sondern eher viel zu hoch gegriffen. Zu bedenken wäre nämlich gerade bei einem betriebswirtschaftlichen Systemvergleich, dass streng genommen Synergieeffekte für E-Busse bestehen, weil ein solches System in Wiesbaden bereits vorhanden ist und ohnehin ausgebaut wird.
Aus den Gesamtkosten von 34,1 Mio. € könnten nichtsdestotrotz für ein fiktives kleines Streckennetz von 34,1 km bestehend aus einer einzigen Fahrlinie problemlos die zusätzliche aber gar nicht notwendige Ladeinfrastruktur für eine Depot-Ladung (wie von ESWE-Verkehr gewählt), Sondernutzungsentgelte, etwaige Fahrbahnertüchtigungen sowie die Einrichtung oder der Umbau vorhandener Haltstellen bestritten werden. Neue Fahrbahnen müssten für E-Busse auf der für die Citybahn angedachten Strecke von 34,1 km grundsätzlich nicht gebaut werden, sie nutzen die vorhandenen Straßenflächen. Genau darin liegt ja ihr Vorteil. Dass für E-Busse oder sonst für Diesel-Busse Betonspuren vorgeschrieben oder auch nur notwendig seien, ist ein „Märchen“, insbesondere haben Betonspuren auch technische Nachteile (Stichwort Temperaturen und Fugen). Zusätzliche Busspuren könnten, wo dies möglich und sinnvoll erscheint, aber ebenfalls aus den 34,1 Mio. € bezahlt werden.
Die Bürgerinitiative Pro Citybahn mag nun ein Wehklagen anstimmen, dass die E-Busse ja volkswirtschaftlich gesehen und ungerechterweise Straßen nutzen bzw. verschleißen, die aus Steuermitteln von Bund, Land oder Kreis/Kommune gebaut und unterhalten werden müssen. Das ist grundsätzlich richtig, hat aber mit einem betriebswirtschaftlichen Systemvergleich nun einmal nicht viel zu tun. Abgesehen davon, dass Busse eben viel flexibler sind und mit den übrigen Verkehrsteilnehmern ihre Fahrwege mit Ausnahme separater Busspuren teilen können, tritt hier der entscheidende Systemunterschied zu Tage: Straßenbahnen benötigen eben in Wiesbaden zwingend eine erst teuer einzurichtende Verkehrsfläche (= Gleisbett mit Schiene), die exklusiv nur der Straßenbahn und ihren Nutzern zur Verfügung steht, aber von allen Wiesbadenern (aus den nicht förderfähigen Eigenanteilen der Projektkosten!) mitbezahlt werden muss, auch wenn sie die Straßenbahn nicht nutzen können oder wollen.
Baunebenkosten für E-Busse wären kaum denkbar und wenn doch, dann in der Pauschale ebenfalls ausreichend eingerechnet. Marketingkosten wären komplett entbehrlich, denn E-Busse ersetzen die Dieselbusse in Wiesbaden ohnehin und dies muss den Nutzern im ÖPNV anders als bei einer Straßenbahn auch nicht zusätzlich erklärt oder schmackhaft gemacht werden.
Vorwurf 4 – Buskapazität
Der vorausgehenden Kalkulation folgend würden hier immer noch 140 Personen pro Gelenkbus und 100 Personen pro Solobus zugrunde gelegt. Diese seien – die Bürgerinitiative Pro Citybahn lege das seit Jahren immer wieder dar – drastisch überhöht.
Diese Aussagen sind wiederum falsch und sie verkennen den Kontext der Vergleichsberechnung.
Bei den Kapazitäten für die E-Busse wurden 90 Fahrgäste für Solofahrzeuge (12 m) und 150 Fahrgäste für Gelenkfahrzeuge (18 m) in Ansatz gebracht. Daraus errechnet sich ein Mittel von 120 Fahrgästen.
Bei den Kapazitäten der E-Busse geht es, wie die Bürgerinitiative Pro Citybahn ja erkannt hat, um die maximal (technisch) zulässigen Fahrgastzahlen, bei den Straßenbahnen aber eben auch. Der Grund liegt eigentlich auf der Hand: Der angestellte betriebswirtschaftliche Systemvergleich bezieht sich nicht auf den etwaigen Komfort, sondern auf vergleichbare Bemessungsgrößen. Überhaupt steht eine betriebswirtschaftliche Untersuchung unter dem Gebot der Vernunft und der Sparsamkeit, so dass etwaige Vorteile wie mehr Bequemlichkeit oder mehr Luxus keinen Raum bekommen könnten.
Dass bei den Straßenbahnfahrzeugen eine maximal zulässige Kapazität von 220 Fahrgästen berücksichtigt wurde, entspricht einmal mehr großzügigen Maßstäben. Bekanntlich hatte die Citybahn GmbH von 2017 bis 2018 für 30 m lange Einzelzüge im 2-Richtungsbetrieb eine Kapazität von 240 Personen bzw. in Doppeltraktion von 480 Personen behauptet [vgl. erneut den Beitrag vom 26.10.2020 am Ende]. Dies wurde von uns ausgiebig kritisiert und hinterfragt, mit der Folge, dass ab Frühjahr 2018 nicht nur größere Fahrzeuge ins Spiel kamen, sondern gleichzeitig (trotz größerer Fahrzeuge!) die Zahl der maximal möglichen Fahrgäste im Einzelzug auf 220 und in Doppeltraktion auf 440 reduziert wurde. So findet sich die Fahrzeugbeschreibung immer noch auf der Webseite der CityBahn GmbH. Bei der Streaming-Informationsveranstaltung des Wiesbadener Kurier vom 20.10.2020 erklärte der Vertreter der CityBahn GmbH dagegen, die genaue Ausstattung und Beschaffenheit der Fahrzeuge sei noch nicht bekannt, man kalkuliere jetzt nur noch mit einer Kapazität von 200 x 2 = 400 Fahrgästen in Doppeltraktion.
Alle von der CityBahn GmbH genannten Fahrgastzahlen waren und sind Maximalzahlen, die nicht danach fragen, ob und wann es in der Straßenbahn unerträglich eng wird und ob und wann die Straßenbahnfahrzeuge im Tagesverlauf überhaupt jemals bis auf den letzten Sitz- oder Stehplatz ausgelastet wären. Es werden immer nur die abstrakten Beförderungskapazitäten als Vorteil genannt.
Der von der Bürgerinitiative Pro Citybahn bei der Diskussion über Kapazitäten gebetsmühlenartig immer wieder bemühte Praxis-Belegungs-Test in Bussen, wonach in einem Gelenkbus höchstens 100 Fahrgäste angemessen Platz fänden, spielt daher bei der betriebswirtschaftlichen Systembetrachtung keine Rolle. Wenn aber die Bürgerinitiative Pro Citybahn meint, es komme (auch im betriebswirtschaftlichen Systemvergleich) bei der Kapazität dennoch auf die Kriterien der Zumutbarkeit und der Attraktivität an, so fragt sich, warum der Praxis-Test eigentlich nur für Busse und nicht auch für Straßenbahnen durchgeführt wurde. Ausreichend „Informationsfahrten“ mit der Mainzer Straßenbahn hat es ja wirklich gegeben.
Wir gehen aufgrund bloßer abstrakter Erwägungen davon aus, dass es in einer 35 m langen Straßenbahn im 2-Richtungs-Betrieb mit Türen auf beiden Seiten spätestens ab etwa 160 Fahrgästen wirklich unangenehm voll wäre.
Wann wird es zu eng in Bus und Straßenbahn? Einen vergleichenden Praxistest hat die Bürgerinitiative Pro Citybahn nicht unternommen, sondern sich einseitig gegen die Bus-Kapazitäten eingeschossen. Lässt sich ein Vergleich evtl. annährend rechnerisch bewerkstelligen?
Fahrzeug | Größe | Sitzpl. | Stehpl. | gesamt | bei Belegung 50 % Stehpl. |
MAN Lion’s City | 18,7 x 2,50 | 54 | 93 | 146 | 100 |
Varionbahn MZ | 30 x 2,30 | 66 | 108 | 174 | 120 |
Der obige gedankliche Versuch möge einmal zum bloßen Nachdenken anregen!
Vorwurf 5 – Taktung und Doppeltraktion
Die erneuerte Kalkulation übernehme außerdem die Fehler der vorherigen: Weder die Doppeltraktion der CityBahn noch die geplante Taktung würden berücksichtigt. Beides verzerre das Ergebnis zugunsten des Busses.
Wieder grob falsch. Der betriebswirtschaftliche Systemvergleich ist abstrakt und muss sich notwendigerweise an den Systemeigenschaften und nicht an den stets veränderbaren Variablen, also etwa Fahrplänen, Takten oder den Tageszeiten mit mehr oder weniger Beförderungsbedarf, orientieren. Die Bürgerinitiative Pro Citybahn hat variable Bedarfsparameter in Gestalt einer Doppeltraktion zugunsten der Straßenbahn verschoben und zudem als erstes unberücksichtigt gelassen, dass die Doppeltraktion gar nicht durchgängig auf der gesamten Strecke bis nach Mainz erfolgen würde. Ebenso wurde die Variable ausgeblendet, dass außerhalb der Stoßzeiten eine Straßenbahn mit 1 Fahrer als Solo-Zug die Strecke gleichgültig mit welchem Takt bedienen müsste, selbst wenn sie halb leer wäre. Außerhalb der Stoßzeiten müssten aber nicht so viele E-Busse und Fahrer eingesetzt werden, um die gleiche Beförderungskapazität im gleichen Takt der Straßenbahn zu bieten, d.h. es würden weniger und kleinere E-Busse genügen, was Einsparungseffekte hätte.