(9.12.20) Webinar Expertenwerk.Stadt: Die Citybahn auf dem Langen Marsch durch die Instanzen?
Vor kurzem erhielt ich eine Einladung vom Dezernat für Stadtentwicklung und Bau und des Stadtplanungsamts, für ein Webinar zum Thema „Post-Corona-Stadt“.
Wenn sich jemand über die dahinterstehende Organisation informieren will – Details hierzu gibt es hier.
Stadtentwicklung ist zwar nicht direkt mein Gebiet; Verkehrspolitik und Stadtentwicklungspolitik sind andererseits schon zwei Seiten derselben Medaille. Ich gestehe, daß ich durch die BI-Arbeit meinen Glauben an das Gute im Politiker ein Stück weit verloren habe, und mir ist klar, daß all die Citybahn-Fans nicht einfach aufgeben, sondern nur auf eine neue Gelegenheit warten, ihre Agenda weiter zu betreiben. Und bei solchen Gelegenheiten kommen bei mir auch immer noch die posttraumatischen Erinnerungen an das Mobilitätsleitbild hoch.
Insofern habe ich schon bei der Liste der Vortragenden eine gewisse Skepsis verspürt – jede Menge Soziologen, die Vorsitzende des Wiesbadener Gestaltungsbeirats, jemand von Fridays for Future…also schon eher Leute, die eine gewisse, sagen wir mal, Schlagseite haben, beziehungsweise eine gewisse Agenda. Insofern war es auch nicht überraschend, daß von mehr als einer Person Bedauern darüber geäußert wurde, daß das großartige Produkt Citybahn von den ignoranten Wiesbadenern mit großer Mehrheit abgelehnt wurde. Es mag sein, daß dies eine durch besagte traumatische Erinnerungen übertriebene Sensibilität ist, aber ich meinte doch, daß durch diese Veranstaltung ein leichtes Aroma von „wir werden diesen renitenten Dumpfbacken schon noch klarmachen, wie toll ein schienengebundenes Massentransportmittel quer durch Wiesbaden ist“ wehte.
Von diesen letztendlich erwartbaren Aspekten einmal abgesehen fand ich es dann aber doch spannend, wie das Thema „Corona“ mit den hinlänglich bekannten städteplanerischen Paradigmen zu einem „weiter so“ zusammengerührt wurde. Der Begriff „resiliente Stadt“ fiel mehr als einmal. Mir als Laien würde dabei einfallen, daß größere Resilizenz gegenüber einer durch die Luft übertragbaren Seuche vielleicht darin bestehen könnte, Menschendichte zu reduzieren, sei es in vollen Geschäften, Veranstaltungsorten oder eben in besagten Massentransportmitteln. Aber nun ja – es ist menschlich, und somit auch bei Soziologieprofessoren nachvollziehbar, daß sie sich eine wahrscheinlich über Jahrzehnte aufgebaute Agenda und Theoriewelt nicht von so etwas wie einer Pandemie kaputtmachen lassen wollen.
Ich will jetzt nicht die ganze Veranstaltung durchkauen – so viele Notizen habe ich mir auch nicht gemacht -, aber zumindest Prof Nr. 1 hatte schon, natürlich in meiner äußerst subjektiven Wahrnehmung, ein Problem damit, die Kurve von einer schon sehr top level-mäßigen Sichtweise zu Corona zu bekommen. Schade in diesem Zusammenhang, daß es keinen gemeinsamen Textkanal gab, auf dem alle ihre Fragen oder Kommentare posten/lesen konnten. Teilnehmer konnten die Veranstalter anchatten oder Fragen posten – entweder gab es sehr viele Fragen und es kam nicht jede dran, oder meine waren nicht okay – jedenfalls hatte ich nicht den Eindruck, daß es da irgendwie einen Rückkanal gab.
Was das Kurvekriegen angeht, hatten auch andere Teilnehmer so ihre Schwierigkeiten – nur beispielhaft, Ms. F4F mußte natürlich irgendwie ihr MIV-Bashing unterbringen, an einer Stelle blitzte auch kurz mal Bedauern auf, daß junge Leute durch Corona momentan doch ein wenig an Auslandspraktika gehindert werden (zu denen sie selbstverständlich nicht per Flugzeug, sondern sicher per Rad oder wenigsten mit einer windbetriebenen Hochleistungs-Segelyacht reisen).
Wobei ich nicht sagen würde, daß alle präsentierten Ideen per se unsinnig oder schlagseitig waren. Eine Stadt der kurzen Wege zwischen Wohnen, Einkaufen, Freizeit und Arbeiten ist sicherlich sinnvoll – wobei man sich dann natürlich auch fragt, wofür dann Mittel- oder Kurzstrecken-Massentransportmittel gut sein sollen. Aber wie schon gesagt hatte ich in Summe den Eindruck, daß „Corona“ hier nur so etwas wie ein Teaser war und auch hier schon ein paar kognitive Denkschutzwände im Bau sind – ich denke dabei daran, daß der Individualverkehr in Coronazeiten die Massentransportmittel entlastet und wahrscheinlich damit auch zur Dämpfung von Infektionsgeschehen beiträgt.
Ich bin schon länger ziemlich sicher, daß Verstädterung und urbane Verdichtung aus Lebensqualität-Sicht der falsche Weg ist. Es mag ja nett sein, in Laufdistanz zwanzig Kneipen und zweihundert Geschäfte zu haben – die negativen Effekte dürften jedoch deutlich überwiegen, auch schon vor Corona, in Pandemie-Zeiten sowieso. Und auch wenn dies (unwahrscheinlicherweise) die letzte von Mensch zu Mensch übertragene Seuche gewesen sein sollte, macht auch unter dem Aspekt steigender sommerlicher Spitzentemperaturen eine räumliche Ent-dichtung und Herausdrängen von „Leutemagneten“ aus schon übervollen Ballungsräumen mehr Sinn als das jetzige Glaubenssystem, dem offenbar immer noch viele Städteplaner anhängen.
Entsprechende Widersprüchlichkeiten waren auch immer wieder zu besichtigen – die Innenstadt als Einkaufs-Erlebnisräume, was eben notwendigerweise mit einer räumlichen Konzentration, also eben nicht kurzen Wegen zum Wohnen einhergeht. Oder ländliche Räume als Erholungszonen – für durch zu große erzwungene Nähe zu allzuvielen Menschen gestreßte Städter, statt sich zu fragen, ob diese Streßfaktoren dann nicht besser gleich durch eine bessere Verteilung in die ja dann doch beanspruchte Fläche erreicht werden kann. Die ja auch nicht Urwald ist, der erst erschlossen werden ist – da draußen gibt es genug zuvor schon einmal besiedelt gewesene Räume, die im Zuge einer Verstädterung aufgegeben wurden.
Aber ich bin ja auch kein Soziologe, sondern nur ein pragmatisch denkender Naturwissenschaftler und Bürger (und immer noch davon überzeugt, daß das autonome Fahren als ÖPNV 2.0 in nicht allzu ferner Zukunft der ganz große Gamechanger in Sachen Mobilität sein wird, der ländliche Räume endgültig zurück-erschließen wird). Auf jeden Fall war ein „Takeaway“ aus dieser Veranstalter, daß man als Bürger weiterhin wachsam bleiben sollte, wenn es um ideologisch motivierte Aktivitäten im Bereich Stadtplanung und Verkehr geht.